Die dunkle Göttin
schwarzes Haar und ihre saphirgrünen Augen regelrecht zu fesselten. Diese Kombination kam unter den Sothôii so selten vor, dass sich Kaeritha mittlerweile an deren Staunen über ihre exotische Schönheit gewöhnt hatte.
Salthan war jedoch mindestens so klug wie Trisu und ebenso rätselhaft zuversichtlich.
Er zog einen schweren hölzernen Rollenkasten aus seinem Fach und ließ dessen Inhalt in seine Hand gleiten. Offenbar war er im Umgang mit alten Dokumenten vertraut, aber es wurde schnell deutlich, dass nicht alle Bibliothekare Lorhams diese Behutsamkeit hatten walten lassen. Kalathas Dokumente waren in einem weit besseren Zustand als die Lorhams, was sich auch in der Vorsicht zeigte, mit der Salthan das Schriftstück auseinander rollte.
Das uralte Pergament knisterte bedenklich. Es bereitete Kaeritha Unbehagen, dass ihre Untersuchung das Material
weiter beschädigen konnte. Doch es gelang Salthan, das Schriftstück auf dem langen Tisch der Bibliothek zu entrollen, ohne weiteren Schaden anzurichten. Er stellte die Öllampe so hin, dass sie es so gut wie möglich erhellte.
Was auch gut war, stellte Kaeritha fest, als sie sich darüber beugte. Es war, wie Trisu gesagt hatte, eine Kopie von Lord Kellos Schenkung an die Kriegsbräute und noch verblichener und schwerer zu lesen als das Original. Zweifellos weil man es hier deutlich nachlässiger behandelt hatte. Trotzdem konnte sie die große »3« am Rand erkennen, die besagte, dass dies die dritte Abschrift war. Außerdem erkannte sie die enge, veraltete Handschrift, die demselben Schreiber gehörte, der auch das Original verfasst hatte.
Sie überflog den Text rasch bis zu der Stelle der Schenkung, in der die Grenzen festgelegt wurden. Sie suchte nach den Passagen, die die besonderen Marksteine um den Fluss und die umstrittene Getreidemühle bezeichneten. Es war der am wenigsten zweifelhafte und zugleich altertümlichste Teil des ganzen Dokumentes. Warum also sollte sie nicht mit den Abschnitten beginnen, denen sie am besten folgen konnte? Au ßerdem waren die genauen Grenzen auch der Kernpunkt des ganzen Streits, deshalb
Ah, da war es! Sie beugte sich vor, las sorgfältig die Passage und
erstarrte.
Das kann doch nicht stimmen!, dachte sie und las die Worte noch einmal, die sich jedoch nicht ändern wollten. Kaeritha runzelte verblüfft die Stirn. Dann klappte sie die Dokumententasche auf, die sie mitgenommen hatte, und zog ihre Notizen heraus. Sie hatte die entsprechenden Passagen in Kalathas Bibliothek peinlichst genau abgeschrieben. Jetzt legte sie diese handschriftlichen Seiten neben die Pergamentrolle und verglich ihre eigene Schrift Wort für Wort mit dem Dokument auf dem Tisch. Sie war vollkommen klar und eindeutig.
»
die vorher erwähnte Grenze soll von der Ostseite von Stelhams Felsen bis zur Ecke von Haymars Hof verlaufen. Am
dortigen Grenzstein wendet sie sich nach Süden und führt zweitausend Meter über den Fluss Renha bis zum Grenzstein von Thaman Zaummacher, was auch die Grenze des Landes des Lords von Lorhams bedeutet.«
Das war der Originaltext der Schenkungsurkunde von Kalatha. Die Passage in dem Dokument, das Salthan ihr vorgelegt hatte, lautete jedoch:
»
die vorher erwähnte Grenze soll von der Ostseite von Stelhams Felsen bis zur Ecke von Haymars Hof verlaufen. Am dortigen Grenzstein wendet sie sich nach Süden und führt tausend Meter zum Nordufer des Flusses Renha, der festgelegten Grenze des Landes des Lords von Lorham.«
Hier handelte es sich nicht um eine winzige Auslegungsfrage, sondern um einen eklatanten Widerspruch. Wenn das Dokument, das vor ihr lag, authentisch war, befand sich Trisu vollkommen im Recht. Die umstrittene Getreidemühle auf dem Südufer des Renha lag auf seinem Gebiet und hatte das schon immer getan. Ebenso gab es keinerlei Handhabe für Kalathas Anspruch auf freie Nutzung der Wasserrechte. Denn der Fluss lag hiernach ausschließlich auf Trisus Gebiet, nicht auf demjenigen von Kalatha. Aber wie konnte dieses Dokument korrekt sein? Natürlich war das Original bei einer möglichen Abweichung der Kopie vorzuziehen, und die Abweichung, die Kaeritha hier sah, konnte nur auf einem bizarren Fehler beruhen.
Doch das war einfach absurd. Sicher, es war eine Abschrift, nicht das Original, aber es schien doch vollkommen unwahrscheinlich, dass derselbe Schreiber, der das Original verfasst hatte, einen solch gravierenden Fehler bei der Kopie gemacht hätte. Und noch unwahrscheinlicher war es, dass ein
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