Die dunkle Göttin
die archaischen Redewendungen sowie die enge, etwas verblichene Schrift auf Garthas und Kellos Originaldokumenten schienen auch nicht gerade hilfreich. Dennoch war es ihr gelungen, sich durch die gewundenen Satzkonstruktionen der spezifischen Paragraphen durchzubei ßen, und sie hatte festgestellt, dass Yaliths Interpretation weit genauer war als Trisus Behauptungen.
»Bei allem gebotenen Respekt, Milord«, antwortete sie. »Ich habe König Garthas Originalproklamation gelesen und ebenso den Wortlaut der Schenkungsurkunde von Lord Kello an die Kriegsbräute studieren können. Mir ist klar, dass viele der Streitpunkte zwischen Euch und Kalatha aus den späteren Interpretationen und Anwendungen entstanden sind, aber die Originalfassung scheint mir eindeutig. Was die Frage der Wasserrechte, der Wegzölle und der Lage der Getreidemühle Eures Vaters auf Kalathas Land betrifft, sind die Kriegsbräute wohl im Recht.«
»Das sind sie nicht«, widersprach Trisu. »Was jede unparteiische Auslegung der fraglichen Dokumente deutlich belegt.«
»Wollt Ihr damit andeuten, ein Paladin des Tomanâk würde vorgelegte Dokumente nicht vorurteilsfrei deuten?« Kaerithas Ton war kälter und härter als zuvor, was sie nicht verhindern konnte. Nicht angesichts seiner unverfrorenen Kritik an den Dokumenten, die sie selbst gelesen hatte.
»Ich will nur behaupten, dass die Dokumente eindeutig das Gegenteil von dem sagen, was Domina Yalith aus ihnen herausliest.« Trisu gab keinen Handbreit nach. Das erforderte große Courage von ihm, das musste Kaeritha ihm lassen. Er
mochte vielleicht tiefe Abneigungen gegen weibliche Kriegerinnen hegen, doch als sie seine drei kranken und verletzten Gefolgsleute heilte, hatte sie ihm damit zweifelsfrei beweisen, dass sie ein Paladin des Tomanâk war. Nur ein ausgemachter Narr oder ein Mann, der sich seiner Sache vollkommen sicher war, würde einem persönlichen Diener des Gottes der Gerechtigkeit so offen widersprechen.
»Milord. Ich würde Euch sonst nicht so offen kritisieren, aber in diesem Fall fürchte ich, irrt Ihr Euch.« Er presste die Lippen zusammen, seine Augen waren nur noch schmale Schlitze, doch er sagte nichts. »Als ich in Kalatha eintraf«, fuhr sie fort, »und erfuhr, um was für Meinungsverschiedenheiten es sich handelt, habe ich die Originale der entsprechenden Dokumente sehr sorgfältig überprüft. Zugegeben, ich beherrsche Eure Sprache nicht vollkommen, aber als Paladin des Tomanâk bin ich in Rechtsfragen besonders bewandert. Es hat eine Weile gedauert, bis ich davon überzeugt war, die Dokumente richtig verstanden zu haben. Deshalb muss ich Euch sagen, dass Domina Yaliths Auslegung meiner Meinung nach die zutreffende ist und nicht die Eure.«
Nach ihren Worten herrschte ein tiefes Schweigen. Still war es in dem luftigen Raum, doch Kaeritha spürte die Wut, die in ihrem Gastgeber loderte. Trotz seiner Vorurteile besaß er jedoch ein hohes Maß an Disziplin und hielt sein Temperament ausgezeichnet im Zaum. Jedenfalls beinahe.
»Milady Paladin.« Trotz seiner Selbstbeherrschung sprach er ihren Titel mit einem beißenden Unterton aus. Glücklicherweise legte Kaeritha nicht viel Wert auf Titel und Rang. »Mir ist vollkommen bewusst, dass meine Sprache nicht Eure Muttersprache ist, wie Ihr ja auch selbst zugebt. Aber ich lagere Abschriften dieser Originalcharta und der Schenkungsurkunde in meiner Bibliothek. Sie wurden zur selben Zeit vom selben Schreiber angefertigt wie die Dokumente, die Ihr in Kalatha gelesen habt. Ich erlaube Euch gern, falls Ihr das wünscht, sie zu untersuchen. Zudem könnt Ihr Euch über
mein Verständnis dieser Dokumente ungestört und unter vier Augen mit meinem obersten Richter besprechen. Er ist auch mein Bibliothekar und hat, möchte ich betonen, vor mir schon meinem Vater gedient. Seine Auslegung deckt sich vollkommen mit meiner. Wie ich schon sagte, jede unparteiische Auslegung dieser Dokumente, die nicht von, sagen wir, unterschiedlichen Ansichten über die angemessene Lebensweise gefärbt ist, kann nur zu demselben Schluss kommen.«
Er stieß diesen letzten Satz nachdrücklich hervor, und Kaeritha presste die Kiefer zusammen, so viel Mühe kostete es sie, sich zu beherrschen. Gleichzeitig jedoch steigerte sich ihre Verwirrung. Wie sie ihm bereits gesagt hatte, war sie ebenso gut in Rechtsfragen ausgebildet wie die meisten königlichen und kaiserlichen Richter im Dienst des Königkaisers. Gewiss, sie war mit den Gesetzen des Reiches der Axt
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