Die dunkle Macht des Mondes
sich, als sie auf den Boden gesprungen war, sofort nach Dorians Flugzeug um. Es stand bereits auf der Landebahn und schien verlassen zu sein.
“Wo ist er?”, verlangte Gwen zu wissen, als Sammael sie am Arm fasste.
“Sie werden ihn bald sehen, das versichere ich Ihnen”, sagte Sammael. Er wartete mit ihr, während Jim im Büro eincheckte und dann ein dunkles und sehr schlichtes Coupé mit getönten Scheiben vorfuhr. Nach weiteren zwei Stunden waren sie in Manhattan.
Sobald das Coupé vor dem Hauptquartier von Pax parkte, sprach Sammael kurz mit Jim, der durch die Eingangstür trat, ohne Gwen auch nur einen Blick zuzuwerfen. Er war vielleicht zehn Minuten im Gebäude, ehe er mit zwei finster blickenden
Strigoi
wiederkam, die Gwen in Gewahrsam nahmen.
Im Hauptquartier selbst herrschte eine angespannte Stille, eine erwartungsvolle Anspannung, gemischt mit Angst. Sammael hatte angedeutet, dass die Zeit für den Angriff auf die verfeindeten Splittergruppen kurz bevorstand. Sie bat noch einmal darum, Dorian sehen zu dürfen, wurde aber stattdessen in das kleine Zimmer gebracht, das man ihr schon bei ihrem ersten Besuch zugewiesen hatte. Sie probierte die Tür, auch wenn sie wusste, dass sie fest verschlossen sein würde. Das Fenster erwies sich als festgenietet.
In den nächsten paar Stunden kam niemand. Gwen saß auf dem Rand des Bettes und strengte all ihre Sinne an, um Dorians Stimme aufzuspüren. Morgen, dachte sie.
Morgen Nacht ist Neumond.
Wenn Dorian und sie dann immer noch hier waren, würde Sammael Zeuge davon werden, wie mächtig und gnadenlos Dorian wirklich sein konnte. Und vielleicht würde Sammael in ihm dann nicht länger einen Feind sehen, sondern ein Werkzeug, das er auf seiner gewalttätigen Suche nach Erlösung benutzen konnte.
Das kann ich nicht zulassen. Noch ein Mal wie das letzte …
Sie hatte angefangen, die Wände hochzugehen, als sich die Tür endlich öffnete und ein Paar männliche
Strigoi
, die sie nicht erkannte, kamen, um sie zu holen. Sie waren alles andere als sanft, als sie sie den Flur entlangzerrten, eine schmale Treppe hinab und in einen kleinen, kalten Raum, in dem nur ein einziger Stuhl stand.
Sie befahlen ihr, sich zu setzen. Sie setzte sich. Und dann fingen sie mit dem Verhör an. Ihre erste Frage befasste sich mit dem Buch. Aber Sammaels frühere Fragen hatten sie vorbereitet, sie ließ sich nicht anmerken, dass sie wusste, wovon sie sprachen.
Die Befragung wandelte sich schnell von grobem Raunzen zu Gebrüll und dann zu körperlicher Gewalt. Sie fingen mit ihrem Gesicht an, ohrfeigten sie erst und teilten dann Faustschläge aus. Sie fand heraus, dass Vampire durchaus dazu in der Lage waren, beachtliche Schmerzen zu verspüren und auch zu ertragen. Blut floss ihr aus der Nase und durchweichte ihre dreckigen Hosen und ihre Bluse. Bald konnte sie ihre Befrager durch die Schwellung um ihre Augen kaum noch erkennen.
Doch die brüllten weiter ihre Fragen über das Buch, bis es in ihren Ohren rauschte und ihr Körper zusammensackte, weil sie sich nicht mehr aufrecht halten konnte. Sie konnte nur dankbar sein, dass der Bund gebrochen war. Wenn Dorian noch in der Lage wäre, zu spüren, was passierte, dann hätte er alles Mögliche getan, um zu ihr zu kommen, Monster oder nicht. Und er wäre wahrscheinlich bei dem Versuch umgebracht worden.
Du hast das Richtige getan, als du den Bund gebrochen hast. Das richtige …
Einer der Strigoi packte ihren Arm und begann daran zu ziehen. Gwen konnte spüren, wie ihre Schulter aus dem Gelenk sprang. Vor ihren Augen wurde es erst rot, dann schwarz vor Schmerzen.
“Das Buch! Wo ist es?”
“Weiß … nicht”, murmelte sie durch ihre geschwollenen Lippen. “Weiß …”
“Hört auf.”
Die neue Stimme war klar und kalt und ihre Autorität nicht in Frage zu stellen. Die Folter hörte auf. Sammael kam mit vor Ekel verzogenem Mund in den Raum.
“Das reicht”, sagte er scharf zu seinen Männern. “Du hast deine Befugnisse übertreten, Camarion.” Er kniete sich neben Gwen und sah hoch in ihr Gesicht. “Armes Kind”, sagt er. “Ich wollte nie, dass es so weit geht. Man wird sich sofort um Sie kümmern.”
Gwen wünschte, sie hätte genug Spucke in ihrem Mund übrig gehabt, um ihm zu zeigen, was sie von seinen Versprechen hielt. “Wo ist Dorian?”, fragte sie.
“Er hat es gemütlich.”
“Sie haben ihn … nicht auch gefoltert?”
“Meine Liebe, das hier war ein furchtbarer Fehler.” Er machte eine Geste in Richtung
Weitere Kostenlose Bücher