Die dunkle Macht des Mondes
die Recherche für einen Artikel. Sie brachte es nicht übers Herz, ihm abzusagen. Mitch war meistens ein guter Mann. Er sollte nicht leiden, nur weil sie auf einmal kalte Füße bekommen hatte.
Du musst die Sache beenden.
Aber wenn sie das jetzt tat, würde Mitch glauben, es sei wegen Dorian. Er konnte Dorian feuern lassen. Sie wagte es nicht, einen Krieg zwischen den beiden Männern in ihrem Leben zu entfachen.
Mach dich nicht lächerlich. Dorian ist nicht in deinem Leben. Er will eine Schuld abbezahlen, das ist alles. Du hast dir mit ihm Freiheiten erlaubt, zu denen du kein Recht hattest.
Dorian dagegen hatte sich überhaupt keine Freiheiten genommen.
Gwen rieb ihren Hals. Das Letzte, was sie brauchen konnte, war, ihren Job zu verlieren, weil sie Arbeit und Privatleben nicht auseinanderhalten konnte. Hewitt würde sie liebend gern versagen sehen.
Sie vertrieb sowohl Dorian als auch Mitch aus ihren Gedanken und setzte sich wieder an ihren Artikel. Sie hatte wirklich vor, zu gehen, ehe Dorian mit der Arbeit anfing, aber als sie aufsah, ihr Blick verschwommen vom langen Starren auf die getippten Zeilen, war es bereits dunkel. Mitch war verschwunden, vielleicht um zu beweisen, dass er wirklich nicht eifersüchtig war.
Gwen warf sich ihren Mantel über, setzte ihren Hut auf und nahm die Leihbücher mit, die sie früher am Tag aus der Bibliothek geholt hatte. Der sternenlose Himmel versprach Schneefall. Auf der U-Bahn-Fahrt nach Hause geschah nichts Besonderes. Sie ging mit dem gleichen leeren Gefühl in ihre Wohnung, das sie jede Nacht empfand, seit Dorian ausgezogen war.
Sie schüttelte ihre Melancholie ab, stellte das Radio an, schlüpfte in einen Seidenpyjama und rollte sich mit einem Unterhaltungsroman und einem Becher Kakao auf dem Sofa zusammen. Es war schon weit nach Mitternacht, als ihr endlich die Augen zufielen.
Der Traum war so real, dass sie sich sicher war, wach zu sein. Dorian kniete auf dem Boden neben dem Sofa und streichelte ihren Hals. Sie konnte die Hitze seiner Haut spüren, die Stärke seiner Arme, die Wärme seines Atems. Er berührte sie kaum, und doch war es, als würde er sie am gesamten Körper streicheln, ihre Brüste umfassen, ihren Bauch liebkosen, tiefer und tiefer …
Sie wachte mit einem Ruck auf und wusste sofort, dass sie nicht allein war.
“Geht es dir gut, Gwen?”
Dorian stand über ihr, sein Gesicht durch die Schatten eher diabolisch als engelsgleich. Gwen rückte in eine Ecke des Sofas, die Knie an die Brust gezogen, im Nacken ein elektrisches Kribbeln, durch seine Gegenwart verursacht. Es gelang ihr nur mit Mühe, sich zu fassen.
“Wie sind Sie hereingekommen?”
“Sie haben die Tür offen gelassen.”
“Sie hätten klopfen können.”
“Das tut mir leid.” Seine Augen verengten sich, und er schob die Brauen zusammen. “Es wäre klug, etwas mehr auf ihre Sicherheit zu achten.”
“Es ist ja nicht so, als würde ich hier mit Mördern zusammenwohnen.”
“Dennoch …” Er setze sich in den Schreibtischstuhl. “Ich habe Sie heute Abend nicht beim
Sentinel
gesehen.”
“Oh. Ja. Ich war müde, deshalb bin ich früher gegangen.”
“Ich verstehe.” Sie hatte das bestimmte Gefühl, dass er ihr nicht glaubte. “Sind Sie sich sicher, dass es Ihnen gut geht?”
“Sehr gut, Dorian. Und Ihnen?”
“Annehmbar.”
Ein Lachen steckte in ihrer Kehle. “Wie enthusiastisch.” Sie streckte ihre Beine aus, spielte eine Gelassenheit, die sie nicht verspürte. “Langweilt die Arbeit Sie?”
“Überhaupt nicht. Wie Sie schon vorausgesagt haben, finde ich diese körperliche Arbeit sehr vorteilhaft.”
“Das freut mich.” Sie wagte es, ihm ins Gesicht zu sehen. Auch wenn er vollkommen bewegungslos war, durchbohrte sein Blick sie bis auf die Knochen.
“Es ist schon spät”, sagte sie und spielte ein übertriebenes Gähnen vor, “meinen Sie nicht, Sie sollten etwas schlafen?”
“Ich brauche nur wenig Schlaf.”
“Na, ich brauche aber meinen Schönheitsschlaf.” Sie stand vom Sofa auf und schaltete die Lampe auf dem Tisch daneben aus. “Gute Nacht, Dorian.”
Er bewegte sich nicht. “Was bedeutet er Ihnen?”, fragte er.
Sie wusste sofort, wen er meinte. Eine Mischung aus Ärger und Aufregung vertrieb jeden Gedanken an Schlaf. “Mitch”, sagte sie, “ist ein alter und teurer Freund.”
“Ist er Ihr Liebhaber?”
7. KAPITEL
E inen Augenblick lang fehlten Gwen die Worte. “Das geht Sie nichts an”, fauchte sie.
Er stand in einer perfekten
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