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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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schmetterte ihm Fabian Heseler entgegen, »das sind juristische Grundlagen.
Machen Sie Ihre Hausaufgaben. Sie haben weder Leiche noch Tatwaffe, ganz zu schweigen
von einem Motiv.«
    Die Stimme
des Richters schien kaum merklich anzuschwellen, während er die Streithähne zurechtwies:
»Unterlassen Sie dieses Geplänkel, meine Herren. Die Einsprüche – ich weiß nicht
einmal mehr, wie viele – werden allesamt zurückgewiesen. Da der Zeuge entlassen
ist und der Fall eine gänzlich andere Richtung zu nehmen scheint, als vorher angenommen
werden konnte, bitte ich die Verteidigung darum, morgen Vormittag ihre im Nachhinein
eingereichten Anträge und Zeugenaussagen anzubringen. Die Sitzung ist geschlossen.«

Achtzehntes Kapitel
     
    Wenig später, als Bentheim seine
Unterlagen in einer Zeichenmappe verpackt und diese dem Gerichtsdiener zur Aufbewahrung
übergeben hatte, traf er Gideon Horlitz, der mit Kommissar Bissing bei einer Fensternische
stand. Er wetterte gegen den Verteidiger, sein Kopf glühte vor Zorn.
    »Ein verflucht
durchtriebener Bursche!«
    »Er läuft
zu Hochtouren auf, weil ihm Goltz das Libretto für diese Oper schreibt. Heseler
ist der Handlanger, während der Professor die Fäden zieht«, spekulierte Bissing.
    »Sind Sie
sich dessen sicher?«
    »Wir kennen
uns aus dem anthropologischen Renan-und-Feuerbach-Verein. Was logisches Denken angeht,
ist Goltz ein Genie. Niemand nimmt es mit ihm auf.«
    »Was ist
das für eine Vereinigung?«, mischte sich Julius Bentheim ein.
    »Eine neu
einberufene Versammlung; es gibt sie erst seit Anfang Januar letzten Jahres. Wir
Mitglieder haben uns dem Ideal des religionskritischen, aufgeklärten Menschen verschrieben.
Das Erscheinen von Ernest Renans Buch ›Vie de Jésus‹ galt als Fanal für uns: Aus
den antiken Verhältnissen seiner Zeit heraus sollte die Figur des christlichen Erlösers
erklärt und als Mensch dargestellt werden.«
    »Und Ludwig
Feuerbach?«
    Bissing
lächelte: »Das ist unser zweiter Säulenheiliger. Wir wollen die Religion und ihre
Auswüchse aus anthropologischer Sicht verstehen.«
    »Und Botho
Goltz ist Mitglied bei Ihnen?«, fuhr Horlitz auf. »Herrgott, nehmen Sie denn alles
auf? Auch Triebtäter und Psychopathen? Würde mich nicht wundern, wenn der Raubmörder
Masch und die Giftmischerin Ursinus Ehrenmitglieder bei Ihnen wären.«
    »Bitte,
meine Herren«, bat Bentheim, »Schuldzuweisungen für etwas, das eine dritte Person
getan oder gelassen hat, bringen uns nicht weiter. Ich befürchte etwas ganz anderes,
nämlich dass der Professor letzten Endes noch dem Strick entgeht.«
    Bissing
und Horlitz wechselten einen Blick, der verschwörerischer daherkam, als es Julius
lieb war. Ersterer machte stirnrunzelnd eine missbilligende Geste und meinte verächtlich:
»Freigesprochen mag er vielleicht werden, aber dem Strick wird er nicht entgehen.«
    »Wie darf
ich das verstehen?«
    »Moritz
plappert Unsinn«, bemerkte Kommissar Horlitz. »Er möchte damit wohl seiner Meinung
Ausdruck verleihen, dass letzten Endes alle Verbrecher ihrer gerechten Strafe anheimfallen.
Und sei es erst im nächsten Leben.«
    »So ist
es«, bestätigte Bissing. »Bisweilen holt einen aber auch das schlechte Gewissen
ein, wie das Beispiel Hackeborn zeigt.«
    Aus einem
unerfindlichen Grund erschauderte Julius. Doch er sah über die Andeutung hinweg,
als er meinte: »Mich beschäftigt derzeit eine ganz andere Sache, nämlich die Frage
nach der Tatwaffe.«
    »Wieso?
Was soll damit sein?«
    »Sie ist
nicht auffindbar«, bemerkte der Tatortzeichner. »Botho Goltz’ Messer scheidet aus,
da es nicht die richtigen Maße aufweist. Das Messer von Gregor Haldern hingegen
besitzt zwar die richtige Länge und Breite und war zudem blutgetränkt, aber der
Professor kann es ihm unmöglich untergeschoben haben. Als die Polizei am Tatort
eintraf, war die Tür zu Halderns Wohnung abgeschlossen.«
    »Also muss
es ein drittes Messer geben«, folgerte Horlitz.
     
    Die nächsten Stunden verbrachte
Julius Bentheim im Kreise seiner engsten Freunde, der Witwe Losch und Albrecht Krosick.
Gemeinsam saßen sie am beengten Küchentisch, speisten zu Abend und diskutierten,
was in Bezug auf Filine Sternberg zu unternehmen sei.
    »Nachdem
du dich jahrelang durch die Lektüre von Sensationsromanen gebildet hast, werter
Julius, wirst du wohl wissen, was dich an die Brust der Geliebten bringt: eine Entführung.«
    »Du beliebst
zu scherzen.«
    Die Witwe
verrührte mit dem Löffel den Zucker in ihrer Teetasse

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