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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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wird.«
    »Stattgegeben«,
entschied Richter Jänert.
    Botho Goltz
saß lächelnd auf seinem Platz und machte sich Notizen. Er war aufgeräumter Stimmung.
Julius beobachtete ihn unverhohlen und wunderte sich über sein Benehmen. Mal war
er heiter, mal traurig; mal hämisch und zynisch, dann wieder lammfromm und einen
demutsvollen Glauben präsentierend. Der Zeichner konnte sich gut vorstellen, dass
dieser ständige Wechsel an Gemütsverfassungen die Verwirrung der Geschworenen zum
Ziel hatte.
    »Beleuchten
wir einen anderen Aspekt«, meinte der Verteidiger. »Die Fotografie von Lene Kulms
Bauchdecke zeigt mehrere Einstiche. Haben Sie die Wunden vermessen?«
    »Natürlich.«
    »Was sind
Ihre diesbezüglichen Schlussfolgerungen?«
    »Wie Sie
dem pathologischen Befund entnehmen können, handelt es sich bei der Mordwaffe um
ein sehr scharfes Messer mit dünner, mittellanger Klinge und Schneidezacken auf
dem Grat.«
    »Was verstehen
Sie unter mittellang? Können Sie das in Zentimetern ausdrücken?«
    Virchow
blätterte in seinen Unterlagen, bis er die gesuchte Stelle fand.
    »Anhand
der Verletzungen der betroffenen inneren Organe kann man davon ausgehen, dass die
Klinge der Tatwaffe eine Mindestkürze von zehn Zentimetern und eine Maximallänge
von 15 Zentimetern aufweisen muss.«
    »15 Zentimeter?
Sagen Sie, Herr Doktor, wie erklären Sie sich die Abweichung von vier Zentimetern
im Vergleich zu der bei dem Angeklagten aufgefundenen Waffe? Deren Klinge misst
19 Zentimeter in der Länge.«
    »Ich habe
mich anscheinend verwirrend ausgedrückt, Herr Anwalt. Die dem Opfer beigebrachten
Verletzungen waren zwischen zehn und 15 Zentimeter tief. Dieser Befund schließt
also alle Arten von Messern, Stichwaffen und Klingen aus, die kürzer als zehn Zentimeter
sind. Es kann hingegen durchaus sein, dass eine – sagen wir einmal – 20 Zentimeter
lange Klinge nur zu drei Vierteln in das Opfer eindringt.«
    »Der Angeklagte
hätte also nicht mit aller Wucht zugestoßen?«
    Virchow
warf einen kurzen Seitenblick in Richtung des Staatsanwalts und antwortete: »Das
liegt im Bereich des Möglichen.«
    »So, Sie
halten dies also für möglich? Halten Sie es auch für möglich, dass mein Mandant
die Wahrheit sagt, indem er darauf hinweist, er habe an besagtem Abend Fleisch zubereitet
und das Blut an dem Messer stamme vom Zerschneiden der Filetstücke? Neben dem Ofen
im Zimmer des Professors stand übrigens eine flache Wanne am Boden, die mit einer
rötlichen Flüssigkeit angefüllt war. Womöglich wurden darin die Nierstücke zubereitet.«
    »Das sind
Mutmaßungen, die ich nicht kommentieren möchte.«
    »Sie machen
es sich einfach, Herr Doktor. Aber wir wollen wissenschaftlich bleiben. Gibt es
beim jetzigen Stand der Forschung eine Möglichkeit, menschliches von tierischem
Blut zu unterscheiden?«
    »Die Forschung
steckt in den Kinderschuhen. Es existieren nur wenige biochemische, elektrophysiologische
und pharmakologische Studien zum Thema.«
    »Sie haben
meine Frage nicht beantwortet.«
    »Nein, man
könnte diese Unterscheidung nicht vornehmen.«
    »Gibt es
überhaupt einen Unterschied zwischen Menschenblut und Tierblut?«
    »Wenn wir
das wüssten, könnten wir sie unterscheiden«, knurrte Virchow. »Das ist ein Zirkelschluss.«
    »Natürlich.«
Der Verteidiger fuhr sich durch die Haare, wandte sich ab, um betont lässig in seinen
Unterlagen zu blättern, und meinte dann: »Ah, hier haben wir es: die Inventarliste,
die Kommissar Horlitz anfertigen ließ. In der Diele Gregor Halderns, genauer gesagt
in dem kleinen Garderobenvorraum zu seiner Wohnung, fanden sich unter anderem die
Beweisstücke 37a bis j und 38a und b. Anders formuliert: ein Bündel mit zehn Banknoten
und eine alte Ausgabe der Allgemeinen Zeitung sowie ein Messer mit blutiger Klinge.
Haben Sie wenigstens auch dieses Messer untersucht?«
    Irritiert
huschte der Blick des Mediziners umher. Theodor Görne sah mit aschfahlem Gesicht
zu Botho Goltz hinüber.
    »Ein zweites
Messer wurde mir nie vorgelegt. Überhaupt wurde mir gar kein Messer vorgelegt.«
    »Wenn ich
Ihnen zwei Messer zur Auswahl gebe, von denen das eine die Klingenlänge von 15 Zentimetern
bei drei Zentimetern Breite aufweist, während die Klinge des anderen 19 Zentimeter
lang und zweieinhalb Zentimeter breit ist – gesetzt also diesen Fall: Welches ist
die Tatwaffe, Herr Professor?«
    »Letzteres.«
    »Das längere,
jedoch schmalere Messer?«
    »Ja.«
    »Hat die
Polizei in Betracht gezogen, dass vielleicht jenes

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