Die dunkle Prophezeiung des Pan
war riesig. So groß
wie der Blauwal im Natural History Museum. Seine Zunge tastete sich
erneut vor. Jetzt hatte er uns entdeckt.
Ich
warf mich vor Lee. »Bitte«, stammelte ich. Ich sah das
Untier mit seinen echsenhaften Schlitzaugen und fühlte meine
Blase erbärmlich Druck ausüben. Jetzt wusste ich, wie sich
die Jurassic-Parc-Kinder im Auto gefühlt haben müsen, als
der Tyrannosaurus Rex angegriff. Nur hatte ich keinen Sam Neill in
der Nähe. »Bitte nicht.«
Die
Schlitzaugen blitzten. Ich umklammerte Lee und hielt mich an ihm
fest. Ich wusste nicht, ob ich ihn beschützte oder er mich,
allein durch seine Anwesenheit. Ich kniff meine Augen fest zu. Dann
spürte ich die Zunge an meinem Gesicht, roch den stinkenden
Atem. Eine Rauchwolke umwehte uns. Mein Magen bockte und ich
schluckte hart.
»Sieh
da. Felicity Morgan«, sagte eine tiefe, kehlige Stimme.
Mich
schauderte. Woher kam diese Stimme? Ich blinzelte. Die Echsenaugen
sahen mich erwartungsvoll an.
»Die
Prophezeite. Und ich habe die Ehre sie als erste zu treffen.«
Ich
starrte entgeistert auf das Ungeheuer vor mir. Der Lindwurm sprach . Zu mir.
REGGIE
»Wieso
kann ich dich verstehen?«, fragte ich zitternd.
Er
züngelte erneut. »Weil du eine von uns bist.«
»Eine
von euch? Wie meinst du das?«
»Du
bist ein Drachenkind. Du bist sogar noch mehr. Du bist DAS
Drachenkind.«
»Drachenkind?
Was ist ein Drachenkind?«
»Kennst
du die Geschichte vom Drachen Fafnir? Der Sohn des Riesen Hreidmar,
der von Siegfried von Xanten getötet worden war? Siegfried hatte
in seinem Blut gebadet und war dadurch unbesiegbar geworden.«
Die
Nibelungen-Sage. Ich nickte.
»Fafnir
hatte Kinder. Seine Nachkommen haben sein Blut in den Adern.«
Mir
war schlecht bis zum Erbrechen, trotzdem funktionierten noch ein paar
Teile meines Gehirns. »Also bist du ein Nachkomme Fafnirs?«
»Ebenso
wie du, Felicity Morgan.«
»Aber
ich bin ein Mensch!«
Der
Drache schnaubte und stieß dabei ein paar Funken aus. »Ich
bin auch ein Mensch. Zumindest meistens. Doch ab und an ruft meine
andere Natur und ich verwandle mich.«
»Wie?«
»Die
Temperatur um dich herum muss mindestens vierzig Grad Celsius
betragen. Und manche können sich auch nur dann verwandeln, wenn
sie rotes Licht vor Augen haben. Andere bevorzugen völlige
Dunkelheit.«
»Könntest
du dich jetzt in einen Menschen zurückverwandeln?«
»Das
werde ich in Gegenwart eines Elfen niemals tun.«
»Aber
dann hast du einen Namen?«
»Ich
heiße Reginald Raik. Kurz Reggie.«
Uh.
Unter Reginald stellte ich mir einen dickbäuchigen Mann mit
Halbglatze vor. Keinesfalls eine Riesenechse. Reggie saß vor
mir auf den Hinterbeinen, wie ein Hund, der erwartungsvoll zu seinem
Herrchen aufsieht. In diesem Fall herabsah.
»Hattest
du noch nie in der Sommerhitze das Gefühl, die Haut würde
bersten?«, fragte er.
Ich
schüttelte den Kopf.
»In
der Sauna? Saunen haben in der Regel die perfekte Temperatur und
Beleuchtung für unsere Verwandlung.«
Ich
schüttelte wieder den Kopf.
»Hast
du keine Narben auf den Schulterblättern? Warzenähnliche
Wucherungen?«
Nein.
Auch das nicht.
Seine
Augen verengten sich noch mehr, die Zunge fuhr erneut über mein
Gesicht. Als würde er mich abtasten. Ich schloss die Augen in
der Erwartung gleich seine Zähne in mir zu spüren.
Aber
nichts geschah. Nur der Schwefelgestank umwehte mich, als hätte
das Ungeheuer Luft ausgestoßen.
»Doch.
Du bist es. Du bist den Drachenkindern prophezeit worden als die
Erlöserin. Du wirst den Fluch brechen und die Elfen verdrängen,
damit wir wieder hinaus können. Ans Tageslicht. Raus aus dem
Verborgenen.«
Ich
hörte, verstand aber kaum ein Wort. Ich war die Prophezeite der
Drachen? »Aber die Elfen behaupten dasselbe von mir.«
Die
wimpernlosen Lider schlossen sich halb. Als der Lindwurm diesmal
sprach, kamen Funken aus seinem Rachen. »Die Elfen lügen.
Sie sind hinterhältig und gierig. Sie sagen dir das, um dir zu
schmeicheln. Damit du uns nicht helfen kannst und die Prophezeiung
nicht eintritt. Wir warten seit über zweitausend Jahren auf
dich.«
Er
sah auf den bewusstlosen Lee. »Er ist einer von ihnen. Ich
kenne ihn. Einer der listigen und falschen Elfenkinder. Er sammelt
seit Jahren Hinweise für seinen Onkel, um uns endgültig zu
vernichten.«
»Er
wusste nicht einmal, dass ihr existiert«, verteidigte ich Lee.
»Bist
du dir da sicher, Felicity Morgan?«
Konnte
ich mir sicher sein? Lee lebte seit über dreihundert Jahren auf
dieser
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