Die dunkle Schwester
Luft, und die leeren Kleider des Ritters sanken zu Boden, sein Schwert fiel klirrend auf die Steinplatten.
Tania zog ihr Schwert und stürzte schreiend vorwärts. Jetzt wirbelte auch der Speerkämpfer zu ihr herum, so blitzartig, dass sie ihm fast in die Spitze lief. Doch im selben Moment sauste Edrics Schwert herunter und zertrümmerte den Speer. Der nächste Hieb traf den Ritter mitten ins Herz. Wieder stieg eine Staubwolke auf. Der graue Harnisch fiel in sich zusammen und der zerbrochene Speer fiel krachend zu Boden.
»Wo ist Sancha?«, rief Zara über das Knattern der Flammen hinweg.
»Oben auf der Galerie, um das Seelenbuch des Königs zu holen!«, rief Edric zurück. »Vielleicht ist sie im Feuer eingeschlossen.«
Tania starrte in den Rauch. Die oberen Galerien waren jetzt nicht mehr zu sehen; der Qualm von den brennenden Regalen wälzte sich bis zum Dach hinauf. Todesmutig ließ sie ihr Schwert fallen und sprang auf die hölzerne Wendeltreppe. »Bleibt unten!«, rief sie den anderen zu. »Ich hole sie.«
Der eigentliche Brandherd war noch ein Stück entfernt, aber das Feuer breitete sich rasch aus, verschlang gierig die alten Bücher. Tania verdrängte den Gedanken daran, wie viel Weisheit, wie viel Wissen hier verloren ging. Der Rauch drang ihr in die Kehle, und sie begann zu husten, als sie die Treppe hinaufrannte. Zum Glück kannte sie die Galerie, auf der die Regale mit den Seelenbüchern standen, und wusste, dass es vier Treppen hoch war. Die Rauchschwaden strichen um sie herum wie Geisterhände, und der Brandgeruch raubte ihr den Atem. Hustend beugte sie sich vornüber und hielt sich am Treppengeländer fest. Sie war jetzt fast da.
Endlich hatte sie es geschafft und lief die vierte Galerie entlang. Die Flammen rückten immer näher, der Gang mit den Seelenbüchern war voller Rauch.
»Sancha?«, rief Tania und schlug mit den Armen nach dem Rauch.
Ein schwaches Husten drang an ihr Ohr. Die Rauchschwaden teilten sich und gaben den Blick auf Sancha frei, die in einer Ecke kauerte. Sie hielt den Kopf tief gesenkt und sie hustete und würgte.
Tania zerrte Sancha hoch und erschrak, als sie in ihre Augen sah, die aus den Höhlen traten. Die Luft ringsum knisterte. Tania legte einen Arm um Sanchas Schultern und zog sie zur Treppe.
»Nein!«, schrie Sancha und versuchte sich loszureißen. »Das Buch des Königs. Wir müssen das Seelenbuch des Königs finden!«
»Es ist zu spät«, keuchte Tania.
»Nein!« Sancha stieß sie von sich weg und lief in die brennende Nische zurück.
»Sancha!« Blindlings stolperte Tania hinter ihrer Schwester her. Die Flammen schlossen sie jetzt ringsum ein. Alle Regale brannten lichterloh. Mittendrin stand Sancha und zerrte die schweren Seelenbücher aus den oberen Regalen. Drei oder vier hielt sie bereits im Arm und griff jetzt nach dem nächsten. Dichter Rauch wälzte sich in die Lücke, in der die Bücher gestanden hatten.
»Geh da weg, Sancha!«, schrie Tania. »Oder willst du verbrennen?«
»Hilf mir!«, keuchte Sancha erstickt. »Die Seelenbücher müssen gerettet werden.«
Eine flackernde Feuerzunge sprang auf das Buch über, das Sancha gerade an sich riss. Ein dünner, hoher Schrei drang an Tanias Ohr, aber die Schmerzenslaute kamen nicht von Sancha, wie sie zunächst glaubte. Es waren die Seelenbücher selbst, die schrien.
Die anderen Bücher fielen herunter, aber eines blieb in Sanchas Hand und versengte ihr die Haut. Tania stürzte zu ihr, schlug ihr das Buch aus der Hand und erstickte die Flammen, die an ihren Ärmeln leckten. Sanchas Hände waren schwer verbrannt, aber das Schlimmste war die Verzweiflung in ihrem Blick.
»Tania!«, schrie Edric plötzlich.
»Hier!«, rief sie zurück.
Wenig später tauchte er aus dem Qualm auf. Sancha sackte in Tanias Arme, ein Bild des Jammers.
»Hilf mir!«, keuchte Tania. »Sie ist verletzt.«
Edric fing Sancha in seinen Armen auf.
»Nei n – das Buch des Königs«, stöhnte Sancha. »Du musst das Buch des Königs holen.« Ihre Hand zeigte auf den qualmenden Boden, auf die Stelle, an der die brennenden Bücher lagen. Alles stand in Flammen, die Seiten rollten sich zu schwarzen Fetzen ein.
Tania konnte gerade noch den Rücken eines der Bücher erkennen, dessen rot-grüne Buchstaben aus der Düsternis hervorleuchteten: Oberon Aurealis Rex . Sie packte das Buch, doch im selben Moment sprangen die Flammen über, und sie ließ es erschrocken fallen. Das Buch klappte auf und die Seiten knatterten im verzehrenden
Weitere Kostenlose Bücher