Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Schwester

Die dunkle Schwester

Titel: Die dunkle Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frewin Jones
Vom Netzwerk:
ihnen und flößte ihnen neue Zuversicht ein.
    Eden stand noch immer am Rand der Lichtung, mit dem Rücken zum Haus, die Arme erhoben und die Finger weit gespreizt. Ihr dichtes weißes Haar fiel wie frisch gefallener Schnee über ihre Schultern. Sie sang eine langsame, getragene Weise, und Tania lauschte gebannt ihren Worten:
    Ich rufe euch, alle jene, die im Elfenreich weilten,
als die Welt noch jung war.
Die von den Meeren tranken,
als süß und frisch noch das Wasser war,
die von den Früchten der alten Bäume kosteten
und die reine Luft der ersten Tage atmeten,
euch rufe ich!
Ihr Geister der Wurzeln, Zweige, Blüten
und Blätter,
so helft mir nun und bewahrt mich
vor meinen Feinden.
    Ein sanftes, hellgrünes Licht ging von ihrer Schwester aus wie von einer Jadefigur, die von innen erleuchtet wurde. Im nächsten Moment strömte Licht aus Edens Fingern, teilte sich in Tausende einzelner Strahlen mit blitzenden Smaragden an der Spitze. Sie bildeten ein hauchfeines, sternenübersätes Netz, das sich ins Dunkel ausdehnte. Das Netz hob und senkte sich, wogte geschmeidig hin und her, um sich schließlich als schimmernde Kuppel über die Lichtung zu wölben. Tania spürte ein Flirren in der Luft. Ein würziger Duft stieg ihr in die Nase. Der Wald jenseits der Kuppel wurde dunkel.
    Eden drehte sich um und kam zum Haus. Ihr Gesicht war blass und angestrengt, aber sie lächelte Tania zu. »Ich fühle mich ausgelaugt und leer, Schwester«, sagte sie und legte ihre Hand auf Tanias Schulter. »Aber es ist vollbracht. Der Smaragdschirm ist kein immerwährender Zauber, aber fürs Erste werden uns die Häscher von Lyonesse nicht aufspüren können.«
    Als Edric sah, dass Eden sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, fasste er sie am Arm und führte sie in Rafe Hawthornes hell erleuchtetes, gastliches Haus

VIII
    J enseits von Edens Zauberschirm war die Nacht im Elfenreich angebrochen. Tania und Edric hatten mehrmals an der Grenze des magischen Kraftfelds gehorcht, ob Verfolger nahten. Das erste Mal hörten sie nur Vogelgesang, das zweite Mal drang Hundegeheul an ihr Ohr, aber es war zu weit entfernt, um eine Bedrohung zu sein.
    Das Jagdhaus war trotz seiner Größe sehr anheimelnd: lange Räume mit niedrigen Holzdecken und Wendeltreppen. Warmes Kerzenlicht vertrieb die Dunkelheit, und die Dienerschar, die hier Zuflucht gefunden hatte, umsorgte die königliche Familie und Edric mit demselben Eifer wie in glücklichen Tagen. Die Flüchtlinge berichteten, wie sie bei Nacht und Nebel aus dem Palast geflohen und blindlings in den Wald gerannt waren. Viele hatten ihre Angehörigen in dem Chaos verloren, das auf die Befreiung der Grauen Ritter gefolgt war. Tanias Herz krampfte sich zusammen, als sie hörte, wie die mörderische Horde brennende Fackeln in die Säle mit den gefangenen Elfen geworfen und alles kurz und klein geschlagen hatte.
    Sancha wurde in eines der oberen Schlafgemächer gebracht und dort von mehreren Frauen versorgt, die Salbe auf ihre Brandwunden strichen und kühlende Tücher darumwickelten. Als Tania zu ihr kam, war sie bereits in einen unruhigen Schlaf gefallen.
    Die Essensvorräte gingen bei so vielen Flüchtlingen bald zur Neige, aber es war noch genug für Titania und ihre Töchter da: frische Äpfel und Birnen, saftige Weintrauben und Damaszenerpflaumen, Erdbeeren, Himbeeren und Brombeeren aus dem Wald. Auch Pilze, Wild und Eier wurden ihnen vorgesetzt, dazu frisches Quellwasser und ein, zwei Gläser von dem rubinroten Stärkungstrunk, den Tania bereits kannte.
    Die Flüchtlinge wollten natürlich hören, wie es Titania in der Welt der Sterblichen ergangen war. Noch vor wenigen Tagen hatten alle die Königin für tot gehalte n – und jetzt stand sie vor ihnen, heil und unversehrt, vor dem smaragdgrün schimmernden Fenster. Es war ein Wunder. Das ganze Elfenvolk lauschte gebannt ihren Worten, manche Zuhörer kauerten auf dem Fußboden, manche saßen an Tischen und Bänken, andere wiederum lehnten an der Wand.
    Nach und nach gingen die Elfen schlafen. Einige hatten ein Bett oder einen Strohsack, aber viele von den Jüngeren streckten sich einfach auf dem Boden aus und rollten sich in eine Decke ein. Das königliche Jagdhaus besaß eine ganze Reihe von schönen Schlafgemächern unter den schrägen Dachgiebeln, aber für so viele Gäste reichten sie bei Weitem nicht. Rafe Hawthorne erzählte Tania, dass das Haus seit der Großen Dämmerung nicht mehr von der königlichen Familie benützt worden wa r –

Weitere Kostenlose Bücher