Die dunkle Schwester
nach einer langen Reise an«, bemerkte Tania. »Vielleicht sollte jemand vorausreiten, um allen zu sagen, was passiert ist.« Sie wandte sich an Bryn. »Kann mich ein Einhorn so weit tragen?«
Bevor Bryn etwas antworten konnte, löste sich eines der Einhörner aus der Herde und trottete zu Tania hinüber. Es beugte seinen edlen Kopf und sah sie mit seinen klugen Augen an.
»Tanz!«, rief Tania, als das Tier sie mit der Nase anstupste. »Das bist du doch, oder?« Sie tätschelte ihm den Hals. »Wie schön, dass du wieder da bist!«
»Ich habe Drazin, Zephyr und Tanz in der Wildnis im Süden gefunden«, erklärte Bryn. »Sie sagten mir, Ihr wäret von geflügelten Wesen angegriffen worden.«
»Das war ein Missverständnis«, antwortete Edric. »Die Lios Foltaigg haben uns geholfen, nach Ynis Maw zu gelangen.«
»Doch dürfen wir nicht über die südliche Grenze von Fidach Ren hinausfliegen«, warf Clorimel ein. »Von dort an müssen jedoch andere die Last der schlafenden Sonne übernehmen.«
»Das werde ich gern tun«, versicherte Bryn.
Cordelia trat vor und pfiff laut durch die Zähne. Zephyr trottete zu ihr und sie streichelte seinen Hals. Mit einem Blick über die Schulter zu Tania sagte sie: »Zwei reisen sicherer als einer«, und zu Edric gewandt: »Wollt Ihr so gut sein und mit Bryn nach Shard reisen, um für die Sicherheit und Bequemlichkeit des Königs zu sorgen, Master Chanticleer?«
»Gewiss, Mylady«, sagte Edric.
»Dann reiten Tania und ich voraus, um der Königin die Kunde zu bringen«, fuhr Cordelia fort. »Und Ihr tragt den König nach Süden, so schnell Ihr es vermögt.«
»Es könnte gefährlich sein, in die Wälder von Esgarth zurückzukehren«, warnte Edric. »Vielleicht sind die Grauen Ritter noch dort.«
»Das ist ein weiser Rat, Master Chanticleer«, sagte Cordelia. »Wir werden stattdessen nach Caer Ravensare reisen, von jeher Versammlungsort aller Lords und Ladys des Elfenreichs in Zeiten der Not. Der Marschall, Herzog Cornelius, wird dort Dienst tun, und lasst uns hoffen, dass sich außer ihm viele andere Ritter und Heerführer eingefunden haben.« Sie sah Bryn an. »Ich habe kein Abschiedsgeschenk für dich, Bryn Lightfoot«, sagte sie. »Außer der Hoffnung, dass wir uns in besseren Zeiten wiedersehen werden.«
»Was könnte ich mir Schöneres wünschen, Mylady?«, antwortete Bryn. Cordelia blickte ihm eine Sekunde lang in die Augen und errötete sanft.
Dann wandte sie sich ab. »Komm, Schwester!«, rief sie. »Steig auf und reite mit mir!«
»Ja, gleich«, sagte Tania und lief schnell zum König hinüber. Sie kniete sich an seine Seite und küsste ihn leicht auf die Stirn. »Bis bald, Vater«, flüsterte sie und sah Edric an. »Pass gut auf ihn auf, ja?«, sagte sie zu ihm.
»Das werde ich.«
Tania tippte ihm zärtlich mit den Fingerspitzen auf die Brust. »Und auf dich auch, okay?«
Edric lächelte. »Ja, aber dasselbe gilt für dich.« Sie umarmten sich und hielten einander für einen Herzschlag lang fest.
Schließlich löste sich Tania von Edric und stieg auf ihr Einhorn. Mit einem letzten Blick über die Schulter drückte sie ihm die Fersen in die Weichen. Das Einhorn warf sich herum und stürmte hinter Cordelia und Zephyr her, seine violette Mähne flatterte fröhlich im Südwind.
XXII
T ania und Cordelia hielten ihre Einhörner auf der Kuppe eines niedrigen runden Hügels an. Vor ihnen führte eine weiße Straße bergab und der Himmel über ihnen leuchtete hell. Ein warmer Wind zerzauste ihnen die Haare und hob die langen seidigen Mähnen ihrer Reittiere an. Fidach Ren lag bereits sechs Tagesreisen hinter ihnen.
»Siehst du dort vorn Ravensare und die Flammenraine?«, erkundigte sich Cordelia. »Ein prächtiger Anblick, nicht wahr?«
Riesige Mohnfelder dehnten sich vor ihnen aus und wogten im Wind. Die Farben waren atemberaubend. Eben noch schillerte der Blütenteppich in allen nur denkbaren Rot- und Orangetönen, um dann beim leisesten Windhauch in unzählige Violettschattierungen umzuschlagen. Der nächste Windstoß färbte alles leuchtend grün, türkis und aquamarin, bis schließlich Braun- und Gelbtöne aufschimmerten.
Die weiße Straße führte den Hang hinab und durch das changierende Blütenmeer zu einer hohen Burg aus schimmerndem Kristall, so blau wie Mondstein. Selbst aus der Ferne sah Tania, dass dieses Gebäude der Schönheitsliebe entsprungen und nicht zu kriegerischen Zwecken erbaut war. Die kunstvoll verzierten Mauern und Zinnen waren mit üppigem
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