Die dunkle Schwester
Tania. Stell dir nur vo r – auf den wilden Einhörnern von Caer Liel gegen Lyonesse zu ziehen! Welch ein Abenteuer!«
»Hoffentlich geschieht ihnen kein Leid«, sagte Tania und schluckte. »Hoffentlich wird niemand verletzt.«
»Das ist höchst unwahrscheinlich«, warf Zara ein, die mit dem Schwert in der Hand neben sie trat. »Doch wir werden gewiss mehr austeilen als einstecken, Schwester, und morgen Abend werden wir knietief im Staub der besiegten Lyonesse-Armee waten.« Sie wirbelte herum. »Kommt jetzt von meiner griesgrämigen Schwester weg, Titus, und helft mir, eine Rüstung auszuwählen, die robust und dennoch elegant ist.«
Titus wandte sich von der Karte ab und lächelte. »Das werde ich tun, Mylady«, sagte er. »Jedoch wird mir die Wahl schwerfallen.«
»So sagt mir doch, warum?«, fragte Zara. Dann hakte sie sich bei ihm unter und ging mit ihm zu den Gestellen mit den Rüstungen.
»Nun, weil ich Euch gern von Kopf bis Fuß durch eine schwere Rüstung geschützt wissen möchte«, antwortete Titus galant, »doch gleichzeitig könnte ich nie etwas auswählen, was mir den Blick auf Eure Anmut und Schönheit rauben könnte.«
»Das ist in der Tat eine große Herausforderung, Mylord«, sagte Zara und zwinkerte ihren Schwestern über die Schulter hinweg zu. »Aber in Kriegszeiten müssen wir alle leiden.«
»Ist da vielleicht eine Liebesaffäre im Busch?«, flüsterte Tania.
»Schon möglich«, sagte Cordelia. »Und ich wäre froh, wenn Zara sich endlich zwischen den beiden Stiefsöhnen von Herzog Cornelius entscheiden könnte, damit ihr endloses Geplapper über die Vorzüge und Tugenden ihrer beiden Verehrer ein Ende hat.«
Tania trat grinsend auf das Podest zu Hopie, die noch immer die Karte des Elfenreichs studierte. Hopie sah sie ernst an. »Du hast eine schwere Last auf dich genommen, Tania«, sagte sie. »Die Zukunft des Elfenreichs steht auf dem Spiel und du bist nun das Zünglein an der Waage. An dir liegt es, ob wir siegen oder untergehen.«
»Ja, klar«, spottete Tania. »Aber mach mir nur keinen Stress!«
Hopie runzelte fragend die Stirn.
»Ach, nichts, vergiss es! War nur ein schlechter Scherz.« Tania starrte auf die Wandkarte, die sehr detailliert war. Die zerklüfteten Bergketten waren braun gefärbt, die Wälder grün, die Flüsse und Seen leuchtend blau.
»Bei Tagesanbruch wird unsere Armee die Westflanke der Wälder von Esgarth umrunden«, erklärte Hopie und beschrieb einen anmutigen Bogen in der Luft. »Und auf der Salisocheide werden wir unser Lager aufschlagen.« Sie lächelte Tania an. »Das ist der berühmte, sagenumwobene Ort, an dem das Heer des Hexenkönigs vor langer Zeit geschlagen wurde.«
»Und was dann?«, fragte Tania mit gedämpfter Stimme. »Ich weiß, dass ich das Kommando übernehmen soll, aber ich habe keine blasse Ahnung, wie man eine Schlachtordnung entwirft.«
»Du hast erfahrene Lords und Hauptleute an deiner Seite, die für die Aufstellung der Truppen verantwortlich sind«, sagte Hopie. »Aber ich vermute, dass wir den Hexenkönig am darauffolgenden Morgen bei Sonnenaufgang angreifen werden. Auf diese Weise haben seine Kundschafter genügend Zeit, zu ihm zurückzureiten und unseren Aufmarsch anzukündige n – und ihm vor allem zu verraten, dass Oberons Töchter die Armee anführen und nicht der König selbst.«
»Und dann?«
Hopie legte ihren Arm um Tanias Schultern. »Dann, liebste Schwester, wird sich zeigen, ob du von wahrhaft königlichem Geblüt bist. Wir werden in die Schlacht ziehen und das Elfenreich verteidige n – bis zum letzten Atemzug.«
XXIII
I m Morgengrauen wurde Tania von den Dienerinnen geweckt, und nachdem sie mit ihren Elfenschwestern und der herzoglichen Familie gefrühstückt hatte, kehrte sie in ihr Zimmer zurück, um sich die Rüstung anlegen zu lassen. Über einer leichten Tunika aus winzigen, paillettenartig aufgefädelten Muschelschalen trug sie Brust- und Rückenharnisch, die an der Taille befestigt wurden. Lange, gebogene Muschelschalen schützten ihre Arme und Beine, und ein spitz zulaufendes Muschelhorn wurde ihr auf den Kopf gesetzt, sodass der Rand ihren Nacken bedeckte und sich schützend um ihre Wangen wölbte. Zum Schluss wurde ihr ein Kristallschwert überreicht, das sie in den Gürtel schob.
Einen Augenblick stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich staunend. Wie war es nur möglich, dass sie sich in so kurzer Zeit in eine kriegerische Elfenprinzessin verwandelt hatte? Sie streckte sich die Zunge
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