Die dunkle Seite der Dinge
Mutter auf den Plan getreten. „Jetz is ävver
Fierovend“, hatte sie geschimpft und tatkräftig die Dinge
in die Hand genommen. Frau Wellinger Senior warf ihren Mieter aus der
Einliegerwohnung ihres Hauses und zog selbst in die kleine Wohnung
ein. Die restlichen Räume überließ sie großzügig
der jungen Familie. „Dann sin ich winnigstens im Huus un kann
op ming Enkelche oppasse, wenn et sing Mooder schon nit mäht“,
hatte sie lamentiert. Wellinger war nichts anderes übrig
geblieben, als das großzügige Angebot anzunehmen. Wenige
Monate später war Christine verschwunden. Erst, als sie die
Scheidung einreichte, erfuhr er, dass es sie nach Argentinien
verschlagen hatte.
„ Dad!“ Die Stimme
seines Sohnes riss Wellinger aus seinen Erinnerungen. „Mensch,
Dad! Wach auf!“
Er blinzelte.
Lennart saß kerzengerade
auf dem Sofa und funkelte ihn aus seinen blauen Augen an. „Kann
es sein, dass Mister Frizzle einen Schatz bewacht?“
Wellinger streckte sich und
gähnte. „Na ja, der wäre jedenfalls sicher. An das
Vieh traut sich ja keiner ran.“
„ Komm schon, Dad! Ich meine
es ernst!“
Wellinger gähnte ein
weiteres Mal, aber Lennart gab nicht so schnell auf.
„ Schau doch mal!“
Schon warf ihm der Junge das Halsband in den Schoß.
„ Ich bin zu müde.“
„ Jetzt nimm es doch mal in
die Hand!“
Wellinger seufzte und griff nach
dem breiten Lederband. Das Material war kunstvoll gearbeitet,
sicherlich schön, doch ansonsten vollkommen unauffällig. Er
wollte es gerade auf den Tisch legen, als seine Finger eine leichte
Wölbung ertasteten. Sofort war er hellwach. In die Innenseite
des Leders hatte jemand eine kleine Tasche hineingeschnitten.
„ Bring mir die Schere“,
befahl er mit heiserer Stimme.
Lennart stürmte davon, nur
um kurz darauf wieder vor ihm zu stehen. „Hier!“, stieß
er hervor.
Wellinger griff nach der Schere
und schnitt den Faden durch, der die Tasche verschloss. Seine Finger
tasteten nach dem kleinen Gegenstand, den die Wölbung in sich
barg. Behutsam beförderte er ihn ans Tageslicht.
„ Das ist eine
Speicherkarte!“ Lennart quiekte beinahe vor Aufregung.
Überrascht schaute Wellinger
auf den flachen Plastikchip. „Können wir uns das auf
deinem Computer angucken?“
„ Klar!“ Der Junge war
bereits verschwunden.
Nachdenklich wog Wellinger den
Chip in seiner Hand, dann griff er zum Telefon.
Kapitel 7
Schweißtropfen perlten von
Enos Stirn. Er keuchte und sein Atem ging stoßweise. Die
goldene Frau hatte ihn aufgespürt. Er hatte gehofft, den Göttern
entkommen zu können, doch sie hatten sich gut getarnt und sich
an seine Fersen geheftet. Ihre hässlichen Fratzen verbargen sie
hinter anmutige Masken. Eigentlich waren sie nichts anderes, als von
Tollwut befallene Affen, die ihn jagten, ihn in die Enge trieben, bis
er erschöpft zusammen brach. Dann schleppten sie ihn in ihre
Mitte und rissen ihm die Kleider vom Leib. Nackt und schutzlos war er
ihren gierigen Blicken ausgeliefert. Sie waren erbarmungslose Wesen.
Immer wieder zerrten sie ihn auf die Beine, nur um ihn zurück in
den Staub zu werfen. Ein ganzes, erbärmliches Leben lang.
Und wenn die Meute erst einmal
genug von ihm hätte, käme die totale Vernichtung. Die
Affengötter würden an seinen Gliedmaßen reißen
und sich an seinen Schmerzensschreien ergötzen. Mit weit
aufgesperrten Mäuler, würden sie ihre Zähne in sein
Fleisch schlagen und große Stücke heraus beißen. Die
Qual war bereits in ihm. Sie fraßen ihn bei lebendigem Leib.
„ Also, sag schon, was hast
du entdeckt?“ Es war kurz vor Mitternacht, als Franziska Stein
mit geröteten Wangen vor Wellingers Haustür stand.
„ Bitte, kommen Sie herein.“
Der Kommissar trat zur Seite und nahm ihre Jacke entgegen. Einladend
zeigte er ins Wohnzimmer und schritt voran. „Das ist mein Sohn
Lennart. Lennart, das ist Frau Doktor Stein.“
„ Franziska“, lächelte
sie den Jungen an und streckte ihm die Hand entgegen. Lennart schob
Mister Frizzle von seinem Schoß, erhob sich und ergriff die
dargebotene Hand. Er strahlte über das ganze Gesicht.
„ Hallo Mister Frizzle!“,
rief Franziska erfreut. Bei dem Versuch, dem Kater über den Kopf
zu streicheln, ergriff er fauchend die Flucht.
„ Was hat der denn?“,
wunderte sich Lennart.
„ Er mag mich nicht.“
„ Ach, der ist blöd.
Ich hätte nichts dagegen, wenn du mir über den Kopf
streicheln würdest.“
Franziska quittierte die freche
Äußerung mit einem freundschaftlichen
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