Die dunkle Seite der Dinge
Bildes.
„ Mensch Dad, das ist echt
nichts für mich. Ich glaube kaum, dass ich diesen schrecklichen
Anblick jemals wieder vergessen werde.“
Wellinger ignorierte den Spott
seines Sohnes. Auf dem Bildschirm war die unspektakuläre
Aufnahme eines schmiedeeisernen Zaunes zu erkennen. Er blickte zu
Franziska. „Hast du eine Ahnung, wo das ist?“
„ Nein, leider nicht.“
Die Enttäuschung färbte ihre Stimme dunkel.
Hinter den kunstvollen
Eisenstäben erhob sich eine dichte, mannshohe Hecke und
verwehrte den Blick auf ein parkähnliches Grundstück. Nur
die Spitzen der Bäume, die zahlreich auf dem Gelände
standen, ragten imposant in den Himmel.
„ Ich mach mal weiter“,
trieb Lennart die Sichtung der Fotos voran und hieb in die Tasten.
Das nächste Bild war durch eine Lücke in der Hecke
aufgenommen worden.
„ Hilft uns auch nicht
weiter“, brummte Wellinger.
Lennart nickte zustimmend und
rief das dritte Foto auf.
Als hätte der Fotograf ein
Einsehen mit ihnen, war das Objektiv der Kamera nun so nahe an den
Zaun herangeführt worden, dass durch die spärlich
gewachsene Hecke die Aufnahme eines verwilderten Gartens möglich
gewesen war.
„ Was ist denn das für
ein weißer Fleck dort im Hintergrund?“ Franziska tippte
mit dem Finger auf den Monitor.
„ Warte! Ich zoom es heran.“
Lennart ließ seine Finger über die Tastatur springen. Die
Umrisse einer hellen Statue wurden deutlich.
„ Ist das ein Engel?“
„ Ja“, stimmte
Wellinger zu. „Schau, die Figur kniet auf dem Boden und sie hat
die Hände zum Gebet gefaltet. Außerdem kannst du auf ihrem
Rücken riesige Schwingen erkennen.
Im nächsten Augenblick
quiekte Lennart erschrocken auf. „Das ist jetzt aber doch ein
wenig gruselig, Dad!“
Auch Wellinger lief ein Schauer
den Rücken hinab. Das Foto, das sie nun sahen, präsentierte
den hoch erhobenen Kopf des Engels.
„ Dad, was ist denn bloß
mit seinem Gesicht passiert?“
„ Keine Ahnung. Vielleicht
ist es Harz. Schau, die Statue steht unter einem Nadelbaum.“
Beklommen betrachteten die drei
Menschen das bizarre Bild, das sich ihnen bot. Der Engel weinte
blutige Tränen.
„ Alles in Ordnung?“
Wellinger strich über Lennarts Arm.
„ Klar“, grinste
dieser und versuchte, sich sein Unbehagen nicht länger anmerken
zu lassen.
„ Wo hat Mike nur diese
Aufnahmen gemacht? Und vor allem, warum hat er sie gemacht?“
Ratlos blickte Franziska in die Runde.
„ Hey, was soll das denn?
Man erkennt ja überhaupt nichts“, lenkte Lennart ihre
Aufmerksamkeit zurück auf den Monitor.
Wellinger blinzelte. Äußerst
schemenhaft waren Zahlen, Tabellen und handschriftliche Notizen zu
erkennen, die auf einem Dokument angefertigt worden waren. Der helle
Untergrund hatte den Blitz zu stark reflektiert.
„ Wartet mal!“,
murmelte Lennart und veränderte geschickt die
Kontrasteinstellungen an seinem Computer, doch trotz seiner
Bemühungen blieb das Ergebnis unbrauchbar.
„ Vielleicht sind das die
Dokumente, die Mike mir zeigen wollte.“ Franziskas Stimme
überschlug sich vor Aufregung.
„ Das finden wir heraus.
Gleich morgen früh bringe ich die Aufnahmen ins Präsidium“,
beruhigte sie der Kommissar.
Das nächste Foto flammte
auf.
Unter lautem Quietschen fuhr der
ICE im Duisburger Hauptbahnhof ein. Eno beobachtete das Treiben, das
einem in Aufruhr geratenen Ameisenhaufen glich. Nervös nagte er
an seinen Fingernägeln. Das Blut lief ihm bereits die Handfläche
hinunter. Er hatte es nicht einmal bemerkt. Fluchend suchte er in
seiner Hose nach einem Taschentuch. Das machte ihn unaufmerksam. Er
hob den Kopf und blickte geradewegs in das Antlitz der Göttin.
Augenblicklich versank er. Sie erhob sich von ihrem Sitz und griff
nach der Hand der kleineren Frau.
„ Bleib“, wisperte Eno
mit brüchiger Stimme. Doch wer war er, dass er einer Göttin
befehlen wollte? Sie verschwand durch die Tür. Die Gefährtin
nahm sie mit sich.
Eno wimmerte.
Die Enttäuschung war riesig.
Lennart klickte durch die Aufnahmen, doch auch die weiteren Bilder
waren überbelichtet. Ratlos sahen sie sich an, als plötzlich
das Foto einer Menschengruppe aufflackerte.
„ Das ist am Heinzelmännchen
Brunnen!“, rief Lennart und tatsächlich waren in einer
Bildecke einzelne Steinfiguren und Motive der Kölner Sage zu
erkennen.
„ Wer sind diese Leute?
Kennst du jemanden, Franziska?“ Wellinger wartete gespannt auf
ihre Antwort.
Sie hielt ihre Nase dicht vor den
Monitor und studierte die einzelnen
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