Die dunkle Seite der Dinge
anerkennend zu.
Akribisch ging Jan die Bestände
durch und notierte die Zahlen.
„ Die meisten Medikamente
sind fast aufgebraucht. Was sollen wir bloß machen?“
Betty, eine deutsche Studentin, die im Rahmen ihrer medizinischen
Ausbildung die Arbeit im Flüchtlingslager unterstützte,
klopfte nervös gegen die verbliebenen Arzneimittelpackungen.
„ Uns wird schon etwas
einfallen. Ich spreche gleich mit Esther.“ Doch auch Jan
wusste, dass sich die Zustände im Lager dramatisch
verschlechtern würden, wenn nicht bald Hilfe eintraf. Als hätten
ihre Sorgen Flügel bekommen, raschelte es vor dem Zelt und schon
schlüpfte eine ältere Frau zu ihnen hinein. Ihr langes,
graues Haar hatte sie im Nacken zu einem Zopf zusammen gebunden.
Dennoch hatten sich einzelne Strähnen aus dem Gummiband gelöst,
die nun ein freundliches, aber zugleich resolutes Gesicht umspielten.
„ Du kommst wie gerufen“,
begrüßte Jan die Frau.
„ Ja, wenn man vom Teufel
spricht“, grinste Esther. „Was ist los?“
„ Uns gehen die Medikamente
aus.“
„ Jetzt beruhige dich, der
Konvoi ist unterwegs. Ich mache ihnen nämlich die Hölle
heiß, wenn sie sich verspäten.“
„ Das glaube ich dir gerne“,
sagte Jan und Betty kicherte. Esther war die treibende Kraft des
Lagers. Unermüdlich war sie im Einsatz und ihr Optimismus
steckte alle an. Die Flüchtlingsfrauen nannten sie Große Mutter .
Sie verehrten die deutsche Medizinerin wie eine Heilige. Die Männer
waren zwar zurückhaltender, bezeugten ihr aber ebenfalls
Respekt. Was Esther sagte, wurde gemacht. Ihr Wort war Gesetz. Und
sie war es auch gewesen, die Jan als medizinischen Leiter des
Flüchtlingslagers vorgeschlagen hatte, auch wenn sie ihn erst
einmal selbst davon überzeugen musste. Er hatte lange gezögert,
die Verantwortung zu übernehmen, doch schließlich hatte er
ihrem Drängen nachgegeben. Dafür stand sie ihm bei der
schwierigen Aufgabe zur Seite, wann immer es möglich war. Auf
seine Frage, warum sie nicht selbst die Leitung des Lagers übernehmen
wollte, hatte Esther vehement den Kopf geschüttelt. Zwar
verbrachte sie weit mehr als die Hälfte des Jahres in Afrika,
doch die restliche Zeit ging sie ihrer Profession in Deutschland
nach. Auch sie müsse immer wieder Inspiration finden und neue
Kraft schöpfen, hatte sie erklärt.
Ihr Gespräch wurde durch das
Nähern von eiligen Schritten unterbrochen und schon steckte
Mahima ihr rundes Gesicht durch die Zeltöffnung. „They are
coming!“, rief sie aufgeregt. Für einen kurzen Moment
verharrten ihre Augen auf Jans schlaksiger Gestalt. Er ignorierte
ihren sehnsuchtsvollen Blick.
„ Wer sagt's denn!“,
nickte Esther. „Komm Jan!“ Sie stürmte aus dem Zelt
hinaus und er folgte ihr dicht auf dem Fuß.
Betty blieb allein zurück
und verschloss die Schränke. Dabei summte sie leise vor sich
hin. Auch wenn Jan und Mahima in dem Glauben waren, dass niemand von
ihrer Liebe wusste, hatte sie sie bemerkt. Der Arzt und die hübsche
Afrikanerin waren wie Teenager bis über beide Ohren ineinander
verknallt und Betty war von dieser Liebe begeistert. Sie spiegelte
die Hoffnung wider, die die Menschen selbst an diesem Höllenort
in ihren Herzen trugen. Nun kamen auch noch die dringend benötigten
Medikamente. Konnte man mehr erhoffen? Sie würde viel zu
berichten haben, wenn sie nach Köln zurück kehrte. Schnell
beendete sie ihre Arbeit und folgte den anderen.
Erwartungsvolles Murmeln empfing
sie. Die Flüchtlinge hatten sich in der Mitte des Lagers
versammelt. Die Euphorie griff immer mehr um sich. Begeistert
klatschten die Menschen in die Hände und die Frauen stimmten ein
fröhliches Lied an. Nun war am Horizont eine dichte Staubwolke
auszumachen, aus der sich allmählich eine Gruppe von Lastwagen
löste. Zwölf dieser riesigen Fahrzeuge fuhren kurz darauf
vor und machten inmitten der Zeltstadt Halt. Ihre verstaubten
Ladeflächen waren bis in den letzten Winkel mit Hilfsgütern
gefüllt.
Jan, der sich bereits in der
Lagermitte eingefunden hatte, straffte seine Schultern und bewegte
sich auf die Wagengruppe zu. Obwohl er schon seit einigen Wochen die
medizinische Leitung des Flüchtlingslagers übernommen
hatte, sollte es erst jetzt zu einer ersten Begegnung mit dem
Wohltäter kommen, der durch sein herausragendes Engagement die
Organisation Vision for
East Africa unterstützte.
Als Schirmherr tat er stets von neuem unerschöpfliche Quellen
auf und organisierte für die Ärmsten der Armen Nahrung,
Kleidung und vor
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