Die dunkle Seite der Dinge
Frau Hagens Bericht erwartet, aber wie
schon bei der ersten Leiche, waren keine verdächtigen Substanzen
gefunden worden, die auf einen Medikamentenversuch hinwiesen. Das
schreckliche Gefühl des Versagens hatte ihn überschwemmt,
als er in das stille, freundliche Gesicht des Opfers geschaut hatte.
Die Frau hatte ganz am Anfang ihres Lebens gestanden. Sie war sogar
noch Jungfrau gewesen. Hagen hatte keinen Zweifel daran gelassen,
dass die Tatwaffe identisch mit dem ersten Mordfall war, auch wenn
sich die Vorgehensweise in beiden Fällen voneinander
unterschied.
Mit dem Fund der zweiten Leiche
hatte Polizeidirektor Alfons Roeder die Sonderkommission Afrika ins Leben gerufen. Wellinger hatte vor Wut gegen die Tür
getreten. Wieso Afrika ?
Immerhin waren die Opfer in Köln gefunden worden. Die Namenswahl
zeigte nur zu deutlich, dass man die Flüchtlinge ausgrenzte und
sie auf ihren Platz verwies. Dabei ignorierte man die Tatsache, dass
die Armen bereits an die Tür klopften und Einlass in das
Paradies begehrten. Das Elend der Welt forderte Barmherzigkeit und
Empathie, doch Ignoranz und Egoismus der Menschen waren größer.
Er schämte sich zutiefst.
Wie sehr musste ein Mensch
leiden, welche Hoffnung trug er in sich, um die Strapazen einer
Flucht auf sich zu nehmen und sich in eine ungewisse Zukunft zu
begeben?
Die Bilder dunkelhäutiger
Flüchtlinge, die zusammengepfercht in kleinen Nussschalen über
dem offenen Meer trieben, stürmten in seinen Kopf. Obwohl diese
Menschen Mut bewiesen, wurden sie nicht als Helden gefeiert. Weitaus
öfter erfuhren sie Zurückweisung und Ablehnung. Im
schlimmsten Fall begegnete ihnen Gleichgültigkeit.
Wellinger erinnerte sich an ein
Foto, das in einem großen Boulevardmagazin abgedruckt gewesen
war. Schockiert hatte er auf das Bild eines völlig erschöpften,
farbigen Mannes geblickt, der auf Händen und Knien über
einen weißen Sandstrand gekrochen war. Nur wenige Augenblicke
zuvor war dieser Mann dem Meer entkommen, welches vielen anderen
Flüchtlingen den Tod gebracht hatte. Das Leiden in seinem
Gesicht hatte den Kommissar tief berührt, aber die drei
Urlauber, die nur wenige Meter von dem Mann entfernt ein Picknick
abhielten, waren von dem Elend unbeeindruckt gewesen. Sie hatten ihre
Köpfe abgewandt und dem Flüchtling weder Wasser noch
Nahrung angeboten. Die menschliche Kälte, die das Bild
offenbarte, hatte Wellinger bis in seine Träume verfolgt.
Wie durch Watte drang das
aufdringliche Klingeln des Telefons zu ihm durch und riss ihn aus
seinen trüben Gedanken. Er hob ab.
„ Roeder hier! Kommen Sie
sofort in mein Büro!“
„ Was ist dran an den
Schwierigkeiten, die Sie im Team haben?“
Wellinger runzelte die Stirn. Er
hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mit Polizeidirektor Roeder über
Thorsten zu sprechen. Welcher Kollege hatte seinen Mund nicht hatte
halten können? Die Antwort folgte prompt.
„ Kriminaloberkommissar
Dreyer hat sich über Sie und ihre Führungsqualitäten
beschwert. Er sagt, dass Sie unprofessionell arbeiten. Sie hätten
sogar eine Außenstehende, eine Ärztin, in den Fall
einbezogen.“
Wellinger schnappte nach Luft,
doch Roeder fuhr unbeirrt fort.
„ Kollege Dreyer sagt
außerdem, die Frau hätte ihn tätlich angegriffen und
er behält sich vor, Anzeige gegen sie zu erstatten. Was soll
das, Wellinger? Seit wann involvieren wir Zivilisten in unsere
Arbeit? Ein solches Verhalten dulde ich nicht. Erst recht nicht, wenn
hysterische Angehörige unsere Beamten angreifen.“
Wellinger war sprachlos.
Thorsten, dieser hinterhältige Hund, hatte die Tatsachen
vollkommen verdreht. Er hob zu einer Rechtfertigung an, erkannte aber
im selben Moment, dass er Roeder nur schwer überzeugen würde
und die Schuld daran trug ganz allein er selbst. Es stimmte. Er hätte
Franziska heraushalten müssen. Alles, was er jetzt gegen
Thorsten hervorbrachte, würde wie eine erbärmliche
Retourkutsche wirken. Warum hatte er selbst nicht sofort das Gespräch
mit Roeder gesucht? Nun bekam er den ganzen Schlamassel serviert.
„ Ich erwarte, dass Sie die
Sache in Ordnung bringen. Sie entschuldigen sich bei
Kriminaloberkommissar Dreyer.“
Wellinger stöhnte innerlich
auf.
„ In Zukunft halten Sie die
Ärztin raus! Haben Sie verstanden?“
Der Kommissar ballte die Faust in
der Tasche und nickte.
„ Die Schwierigkeiten in
ihrem Team, sind bereits nach außen gedrungen“, fuhr
Roeder fort. „Haben Sie mal die Schlagzeilen gelesen? Die
Journallaie hat Blut geleckt.
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