Die dunkle Seite der Dinge
der Sahara bei 48 Jahren liegt. Ein
Europäer lebt 30 Jahre länger. Es macht mich unglaublich
wütend, dass der Erdteil, auf dem man geboren wurde, darüber
entscheiden soll, wie lange man lebt. Eine andere Studie zeigt, das
zwischen 1975 und 1997 mehr als 1200 neue Medikamente zugelassen
worden sind, aber nur 13 davon sind für die Behandlung von
tropischen Krankheiten entwickelt worden. Im Gegenzug werden
Afrikaner, Inder und Asiaten gerne als Probanden missbraucht, um
Medikamente zu testen, die für die reichen Menschen der Ersten
Welt entwickelt werden. Da testet dann ein Mensch in Afrika, der
jeden Tag um Nahrung kämpft, ein Mittel gegen Fettleibigkeit
oder Bluthochdruck.“
Wellinger sah sie bestürzt
an und schüttelte den Kopf. „Was ist nur los mit dieser
Welt?“
„ Ja, es ist schlimm“,
stimmte Franziska ihm zu. „Unser Wohlstand basiert auf dem
Unglück anderer Menschen, die wir noch nicht einmal kennen und
denen wir es schon gar nicht danken. Das ist eben die dunkle Seite
der Dinge.“
Sie schwiegen einen Moment.
„ Wieso ist das möglich?,
wollte Wellinger wissen.
„ Das kann ich dir sagen“,
nickte Franziska. „Die Pharmakonzerne können so verfahren,
weil niemand diese Menschen schützt. Die Probanden müssen
zwar wie die Testpersonen in Europa aufgeklärt werden, die
meisten Menschen verstehen aber aufgrund ihrer geringen Bildung die
Zusammenhänge nicht. Sie wissen nicht, was Placebos oder
Kontrollgruppen sind. Außerdem kennen sie ihre Rechte nur
unzureichend oder wagen nicht, diese einzufordern und in vielen
Fällen sind der Arzt, der die Versuchsreihe durchführt und
der Berater, der die Menschen über die Risiken aufklären
soll, ein und dieselbe Person. Das ist ethisch nicht vertretbar, weil
es einen klassischen Interessenkonflikt darstellt. Im schlimmsten
Fall hält ein korrupter Klinikleiter die Hand auf und führt
seine eigenen Landsleute zur Schlachtbank. Obwohl die Industrie in
solch einem Fall keine geringen Schmiergelder an die Klinikleitung
zahlen muss, rechnet es sich immer noch, denn eine Testreihe in
diesen Ländern ist bis zu einem Drittel günstiger, als in
Europa oder in Nordamerika, und wir reden hier nicht von Peanuts,
Carsten, sondern von zwei- bis dreistelligen Millionenbeträgen.“
„ Warum ist es dort so viel
günstiger?“ Wellinger versuchte, sich die genannten
Summen vorzustellen. Er scheiterte kläglich.
„ Es ist, wie so oft im
Leben, eine Frage der Bildung. Die Testpersonen zeigen mehr
Durchhaltevermögen, weil sie entweder die Risiken nicht kennen
oder keine andere Wahl haben, ihre Kinder zu ernähren. Die
größte Perversion liegt darin, dass viele dieser Menschen
die Hoffnung in sich tragen, auf diese Weise eine medizinische
Behandlung zu bekommen, die sie sich sonst ohnehin nicht leisten
könnten oder die auch oftmals logistisch nicht umsetzbar ist.
Für die Konzerne ist es demzufolge nie ein Problem, an
preiswerte Probanden zu kommen, weil genügend Menschen zur
Verfügung stehen. Manchmal zahlen die Konzerne den Testern sogar
überhaupt nichts. Mitte der 90er Jahre ist ein ziemlicher
perfider Fall aufgeflogen. Da hat Pfizer, einer der größten
Pharmariesen, der auch Viagra vertreibt, in Nigeria an zweihundert Menschen ein Mittel gegen
Meningitis getestet. In Nigeria herrschte zu dieser Zeit eine
Epidemie von biblischen Ausmaß. Die Versuchsreihe wurde unter
dem Deckmantel der humanitären Hilfe durchgeführt und die
Menschen haben den Tests zugestimmt, weil sie dachten, dass die
Forscher der Vereinigung Ärzte
ohne Grenzen angehören, die zum gleichen Zeitraum in dieser Region tätig
war. Tatsächlich wurden die Kranken nicht behandelt, sondern es
wurde eine Testreihe mit dem Mittel Trovan an ihnen durchgeführt. Pfizer behauptet natürlich
weiterhin, dass es sich um ein humanitäres Hilfsprojekt
gehandelt hat. Wer es glauben mag. Elf Menschen starben, viele trugen
Behinderungen davon. Besonders tragisch ist der Fall, wenn man
bedenkt, dass es ein wirksames Medikament eines
Konkurrenzunternehmens gegeben hätte, das die Kranken hätte
heilen können. Dieses Mittel wurde aber nur der Hälfte der
Testpersonen verabreicht. Außerdem sind Mutmaßungen
angestellt worden, dass die Dosis absichtlich gering gehalten wurde,
damit das eigene Produkt im Vergleich besser abschneidet. Die
sogenannte humanitäre Hilfe hatte dann auch auf wundersame Weise
ein Ende, als der letzte Test durchgeführt worden war. Die
Forscher haben zum Höhepunkt der
Weitere Kostenlose Bücher