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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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ist immer schwer für die Mutter.« Lucille gelang es nicht zu lächeln.
    Jedesmal, wenn Urs aus seinem unruhigen Schlaf erwachte, hörte er sie in der Wohnung herumgehen und leise Trolls Namen rufen.
    Als er am Morgen kurz nach sechs in die Küche kam, saß sie angezogen am Küchentisch. Vor sich ein kleines Plakat mit der Überschrift TROLL und einem Foto des grauen Kätzchens. Darunter hatte sie mit ihren schönsten Buchstaben eine genaue Beschreibung des Tiers gemalt und das Wort BELOHNUNG in fetten Lettern.
    »Kannst du mir davon im Büro Kopien machen?«
    »Klar. Wie viele?«
    »Glaubst du, hundert reichen?«
    »Hundert?«
    Lucille war es ernst. »Für die Haustüren und Briefkästen und Tramhaltestellen des Quartiers.«
    »Ich kann dir auch mehr machen.«
    »Hundertfünfzig?«
    Urs nickte. Er nahm das Plakat und steckte es in seine Mappe.
    Als er in die Kanzlei kam, war er glänzender Laune. Er fühlte sich leicht und klar und spürte nichts von den Nachwirkungen des Wochenendes. Erst als er die Miene von Petra Decarli sah, erinnerte er sich an die Vorfälle von gestern. Nichts, was man nicht wieder geradebiegen könnte, beschloß er und machte sich an die Arbeit.
    Er rief Jack Taylor, Jean-Paul Le Cerf und Klaus Gebert an und entschuldigte sich mit Magenkoliken. Er hatte sich gegen Nierenkoliken entschieden, weil er nicht den Eindruck erwecken wollte, er könnte für längere Zeit ausfallen. Magenkoliken waren eine vorübergehende Unpäßlichkeit. Besonders, wenn sie – wie er andeutete – von einer nicht ganz frischen Auster herrührten. Auf jeden Fall waren sie eine plausible Erklärung für seine Konzentrationsschwächen und sein Fehlen beim gemeinsamen Mittagessen. Die drei Herren schienen sich damit zufriedenzugeben.
    Huwyler war schwieriger. Er trug ihm mittlerweile weniger sein Verhalten bei der Sitzung nach als seine Weigerung, sich zu entschuldigen. Am meisten nahm er ihm übel, daß Blank einfach den Hörer aufgelegt hatte. Das hatte ihm – von einer jungen Dame einmal abgesehen, der er eine Zeitlang ein Appartement bezahlt hatte – noch nie jemand geboten. »Beim Huwyler legt man nicht einfach auf«, sagte er.
    »Hätte ich in die Hose scheißen sollen?« fragte Blank, der Huwylers Sinn für drastischen Humor kannte.
    »Ja«, antwortete Huwyler und legte seinerseits auf.
    Blank rief zurück. Huwyler ließ ihn lange warten und meldete sich schließlich mit der Bemerkung: »Glauben Sie ja nicht, daß wir damit quitt sind.« Aber er klang halbwegs versöhnt.
    Dr. von Berg hatte den ganzen Vormittag keine Zeit, ließ er durch seine Sekretärin ausrichten. Aber er könnte sich für ein Mittagessen im Krummenacher freimachen.
    Blank deutete das als Versöhnungsangebot. Ein Mittagessen im Krummenacher würde ihn mindestens zweitausend Franken kosten. Von Berg würde das Menü surprise bestellen und zu jedem Gang eine önologische Rarität. Das war seine Art, es ihm heimzuzahlen.
    Blank ging ins Büro seiner Sekretärin. »Ich war wohl etwas hart zu Gerber, gestern. Wo kann ich ihn erreichen?«
    Sie schaute erstaunt auf. »Wahrscheinlich in seinem Büro.«
    Blank spürte Haß in sich aufsteigen. Was hatte Gerber hier noch verloren? Hatte er nicht angeordnet, man solle ihm den Kerl endgültig aus den Augen schaffen? Es gab nur einen einzigen Menschen, der das Recht hatte, Blanks Anordnungen rückgängig zu machen: Urs Blank.
    Er stürmte durch den Korridor und platzte in Gerbers Büro. Es war leer. Auf dem Computer lief ein Bildschirm-Schonprogramm. Eine endlose Formation fliegender Toaster zog vorbei. Gerber konnte nicht weit sein. Wahrscheinlich auf der Toilette.
    Die Vorstellung, daß Gerber auf dem Klo saß, während in seinem Büro ein Schwarm fliegender Toaster vorbeizog, besaß etwas so Rührendes, daß Blank lachen mußte. Er schloß die Tür und ging grinsend durch den Gang, vorbei an der konsternierten Petra Decarli, zurück an seinen Schreibtisch.
    Er hatte von Berg unterschätzt. Das Mittagessen im Krummenacher glich einer Weindegustation. Nur, daß er die Jahrhundertweine, die er bestellte, nicht ausspuckte, sondern etwa ein Drittel jeder Flasche austrank. Dazu aß er nicht Brot, sondern er naschte von einem der Menüs, mit denen sich das Krummenacher vom Gault Millau die zweithöchste Punktezahl geholt hatte.
    Der Schaden für Blank belief sich auf etwas über fünftausend Franken. »Mein persönlicher Rekord für ein Mittagessen zu zweit«, wie sich von Berg ausdrückte, als er Blank

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