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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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als Angst.«
    Der kleine Trupp brach die Suche schon am zweiten Tag ergebnislos ab. Vielleicht hätte man intensiver und länger gesucht, wenn nicht jeder Mann für die Behebung der Sturmschäden gebraucht worden wäre.
    Man verzichtete auch darauf, Taucher anzufordern. Ob der Gründelsee seine Leichen behielt oder herausgab, hatte noch stets in seiner eigenen Macht gelegen.
    Als dann auch noch das Untersuchungsergebnis des wissenschaftlichen Dienstes eintraf, bekam man endgültig die Gewißheit, richtig gehandelt zu haben. Es besagte nämlich, daß es sich um einen Brief in der Handschrift des Vermißten handelte. Außer seiner Unterschrift hatte man an einigen Stellen aufgrund des Federabdruckes und verbleibender Farbpigmente Wörter entziffern können. Vor allem die Wörter »weiterleben« und »ausweglos« und »dieser Welt« sowie die Formulierung »Verzeiht mir!« vor der Unterschrift ließen keinen Zweifel daran, daß es sich um einen Abschiedsbrief handelte.
    Es erschien eine kleine Meldung in mehreren Zeitungen. Der bekannte Wirtschaftsanwalt Dr. Urs Blank werde unter Umständen vermißt, die auf Selbstmord schließen ließen.
    Zwei Tage später doppelte eines der nationalen Wirtschaftsblätter mit einem kleinen schäbigen Artikel nach. Er unterstellte, daß der Freitod eines führenden Fusionsexperten erhebliche Nervosität in dessen geschäftlichem Umfeld ausgelöst habe. Besonders zu einem Zeitpunkt, wo die Gerüchte über eine bevorstehende Fusion der CONFED mit BRITISH LIFE , SECURITÉ DU NORD und HANSA ALLGEMEINE sich immer mehr verdichteten.
    Ein Gerücht, das erst mit diesem Artikel in die Welt gesetzt wurde. Er war unterschrieben mit -dro, dem Kürzel für Pedro Müller.

13
     
    Gegen halb sechs begannen sich Konturen abzuzeichnen. Ein Stamm, ein Wurzelstock, ein paar Farnwedel. Eine helle Stelle in einer unförmigen Masse. Eine bloßgelegte Erdschicht in der Böschung. Eine freigelegte Wurzel. Eine dunkle Stelle.
    Es wurde Tag. Bäume, Sträucher, Kräuter, Büsche, ein Erdabbruch in der Böschung traten ans Licht. Und Schnüre. Ein Netz. Die dunkle Stelle dahinter blieb dunkel.
    Jetzt, mitten in der dunklen Stelle, etwas Helles. Es bewegte sich. Es blieb stehen. Bewegte sich. Blieb stehen. Kam ans Licht. Ein Kaninchen.
    Es richtete sich auf. Seine Löffel berührten das Netz. Blitzschnell wandte es sich zum Eingang des Baus. Aber das Netz war schon zu. Es wurde hochgehoben. Das Kaninchen zappelte darin und pfiff durchdringend.
    Eine Hand packte es an den Hinterläufen, ein Knüppel traf es im Genick.
    Der Mann nahm das tote Kaninchen aus dem Netz, rollte das Netz zusammen und steckte es in eine der vielen Taschen seiner Army-Hose. Er begann, mit seiner Beute die Böschung hinaufzusteigen.
    Nach etwa fünfhundert Metern, weit genug vom Bau, blieb er stehen. Er massierte die Bauchdecke des Kaninchens, bis die Harnblase leer war. So konnte das Wildbret keinen Uringeschmack annehmen. Er klappte sein Jagdmesser auf und führte einen Schnitt durch die Bauchdecke, vom Brustbein bis zum Schloß. Er entnahm zuerst Magen, Darm und Geschlechtsorgane. Er entfernte vorsichtig die Gallenblase von der Leber und die Drüsen beiderseits des Weidlochs. Er scharrte mit dem Absatz seines schweren Lederstiefels eine Vertiefung in den lockeren Waldboden und vergrub darin die ungenießbaren Organe. Er verschränkte die Läufe des Kaninchens, band sie mit einer Schnur zusammen und machte diese an seinem Gürtel fest.
    Am Moos eines morschen Baumstrunks wischte er das blutige Jagdmesser ab. Die Inschrift auf der Klinge wurde lesbar: Never hesitate.
    Am Rande eines Felssturzes überquerte Blank eine Mulde. Vorsichtig, um keine Spur aus zertretenen Farnen zu hinterlassen. Zu seiner Linken erhob sich eine Felswand aus Granit. Vor ihm versperrte ein Dickicht aus Jungtannen den Weg. Als er es erreichte, zog er eines der Tännchen aus der Erde. Sein Stamm war zugespitzt wie bei einem Christbaum. Blank ging gebückt in das Dickicht hinein und steckte das Tännchen hinter sich wieder in die Erde. An mehreren Stellen mußte er Äste und Büsche aus dem Weg räumen, mit denen er das Dickicht noch undurchdringlicher gemacht hatte. Ein etwas mühsamer Einstieg in sein Versteck. Aber die Tarnung hatte ihm ermöglicht, die unteren Äste der Tannen zu entfernen. So mußte er wenigstens nicht mehr auf dem Bauch durch das Dickicht robben.
    Er betrat die kleine Lichtung mit dem gewaltigen Felsbrocken, an dessen Fuß ein kleiner Bach

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