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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Sie.«
    »Woher wissen Sie, daß er verschwunden ist?«
    »Von seinem Psychiater.« Lucille gab ihm die Nummer von Alfred Wenger.
    Wenger klang sehr professionell. Er ließ sich Blasers Nummer geben und rief zurück. Eine Vorsichtsmaßnahme, die zum Repertoire des Psychiaters im Umgang mit Polizisten gehörte. Er bestätigte den Vorfall, spielte ihn aber herunter. Es sei auch richtig, daß Dr. Blank seit gestern abend verschwunden sei. Aber daran sei nichts Ungewöhnliches. Er besitze die Angewohnheit, mehrere Tage und Nächte im Freien zu verbringen. Dr. Blank brauche das als Ausgleich. Er sei ein großer Naturfreund.
    »Und Pilzfreund?«
    »Er kennt sich aus in Fauna und Flora des Waldes, wenn Sie das meinen. Was soll ich ihm sagen, wenn er sich meldet? Wird nach ihm gefahndet?«
    »Von uns noch nicht. Und solange die beiden jungen Leute keine Anzeige bei der Stadtpolizei machen, auch nicht von den Kollegen. Aber Sie können ihm den guten Rat geben, sich bei mir zu melden.«
    Als er auflegte, begann es zu donnern. Kurz darauf prasselte ein Gewitterregen auf das Blechvordach unter dem Fenstersims. Blaser mußte das Bürofenster schließen.
    In den folgenden drei Tagen fegten orkanartige Stürme über das Land. Die schlimmsten seit zweiundsechzig Jahren, vermeldeten die Statistiker. In den Voralpen unterspülten unscheinbare Bäche uralte Brücken und brachten sie zum Einsturz. Schlammlawinen schnitten Dörfer von der Außenwelt ab und legten Bahnlinien und Straßen lahm.
    Kein Wetter, um im Wald zu übernachten.
    Alfred Wenger wartete vergeblich auf ein Lebenszeichen von Urs Blank. Am vierten Tag, einem Montag, rief er in der Kanzlei an. Auch dort sagte man ihm, daß man keine Ahnung habe, wo er sich befinde. Blanks Sekretärin klang etwas angespannt. Als ob sie die Frage langsam satt hätte.
    Am gleichen Tag telefonierte Wenger mit Evelyne. Sie sprach aus, was er schon lange dachte: Vielleicht ist etwas passiert.
    Die Stürme hatten sich endlich gelegt. Der Himmel war zwar immer noch mit Wolken überzogen, aber sie trieben nicht mehr wie herrenlose Zeppeline über das Ferienhaus, sondern hingen schlapp und grau über den Hügeln.
    Franz und Leni Hofer wären auch bei schlechterem Wetter mit den Kindern spazierengegangen. Die letzten drei Tage waren die Hölle gewesen. Zuerst hatten sie das Unwetter noch als Naturereignis genossen. Aber als es die ganze Nacht anhielt und am nächsten Morgen noch stärker wurde, zeigte die Familie erste Verschleißerscheinungen. Die Tage zuvor, bei strahlendem Sommerwetter, war es ihnen allen noch einigermaßen gelungen, sich ihre Enttäuschung über die Ferienwohnung nicht anmerken zu lassen und die Entscheidung, statt ans Meer in die Berge zu fahren, nicht in Frage zu stellen. Aber die Harmonie war fragil. Sie überstand die Enge der Ferienwohnung nicht.
    So war es denn eine Wohltat, daß man hinauskonnte, ohne befürchten zu müssen, von Ziegeln, Geranientöpfen oder umstürzenden Bäumen erschlagen zu werden. Vater, Mutter und die drei Kinder gingen auf dem verschlammten Feldweg, der zum See führte. Jedes Familienmitglied möglichst außer Sprechweite der anderen.
    Kati, die mittlere Tochter, ging am weitesten voraus. Als ob sie vorhätte, der Familie definitiv den Rücken zu kehren. Leni Hofer sah, wie sie den Weg verließ und im Gebüsch verschwand. Wenn sie sich versteckt, gehe ich einfach weiter, nahm sich Leni vor. Aber nach kurzer Zeit trat Kati wieder auf die Straße und winkte die anderen heran. Niemand beschleunigte seinen Schritt. Kati verschwand wieder im Gebüsch.
    Die Stelle, wo sie die Straße verlassen hatte, war die Einfahrt zu einem Parkplatz. Er war etwas verdeckt von einer Haselhecke und bot Platz für etwa zehn Autos, eine Ruhebank, zwei Papierkörbe und eine Tafel mit Abbildungen der geschützten Pflanzen der Gegend. Das Bächlein, das zwischen Waldrand und Parkplatz hindurchfloß, war zu einem braunen Bach angeschwollen und hatte zu beiden Seiten einige Meter Boden weggespült. Zwei Tannen waren umgestürzt. Sie lagen auf dem Dach eines schwarzen Range Rovers, dessen Heck bis zu den Fenstern im Bachbett stand.
    Der Wagen war als Geschäftswagen eines Anwaltsbüros registriert. »In diesem Drecksgeschäft brauchst du einen geländegängigen Wagen«, witzelte der Dorfpolizist mit seinem Kollegen. Ein Anruf hatte ergeben, daß Dr. Urs Blank, der den Range Rover normalerweise fuhr, seit fast einer Woche verschwunden war. Er sei nur deshalb nicht als vermißt

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