Die dunkle Seite des Mondes
Ott.
»Die Polizei vermutet, daß Blank noch lebt und sich die ganze Zeit im Wald versteckt gehalten hat. Sie haben in seinem mutmaßlichen Versteck Fingerabdrücke gesichert und fragen uns, ob sie in seinem ehemaligen Büro nach Vergleichsabdrücken suchen dürfen.«
Nur Pius Otts Schrecken war gespielt.
»Ich kann mit Gubler sprechen«, schlug Geiger vor. Er kannte den Polizeikommandanten vom Militär.
Minder schüttelte den Kopf. »Wir können doch nichts dagegen haben, daß die Polizei herausfinden will, ob unser Partner noch lebt.«
»Und wenn sie ihn finden?« fragte Gerber aufgeregt. Er sah schon das Ende seiner Karriere, noch bevor sie begonnen hatte.
»Das wäre allerdings peinlich«, gab von Berg zu.
»Machen wir uns nichts vor«, sagte Geiger. »Wenn er sich die EXTERNAG -Unterlagen geholt hat, dann führt er auch etwas im Schild. Sie dürfen ihn unter keinen Umständen finden.«
»Man wird ihn nicht finden.« Bis jetzt hatte Ott nur zugehört.
»Was macht dich so sicher?« fragte Geiger.
»Mein Gefühl.«
»Ich hoffe, man kann sich auf dein Gefühl verlassen«, stöhnte Geiger.
»Normalerweise schon.«
Christoph Gerber wurde angewiesen, der Polizei sein Büro zugänglich zu machen.
Ein einziger Beamter kam am nächsten Tag vorbei. Ein bleicher, grobporiger Mann kurz vor der Pensionierung, der das Büro mit seiner Ausdünstung aus Schweiß und Magensäure füllte. Gerber floh in immer kürzeren Abständen ins Vorzimmer, um Petra Decarlis Parfum zu atmen.
Einmal, als er zurückkam, machte sich der Beamte am Drucker zu schaffen. »Nicht nötig, den haben wir erst nach Doktor Blanks Verschwinden angeschafft.«
Der Beamte löste die Abdrücke, die er schon sichtbar gemacht hatte, trotzdem ab. Bei zwei davon hätte er nämlich schwören können, die diagonale Daumennarbe schon einmal gesehen zu haben – beim Vergleichsabdruck.
Theo Huber lebte seit bald zwanzig Jahren allein in einem Reiheneinfamilienhaus. Seine Frau hatte ihn damals vor die Wahl gestellt: sie oder die Pilze, und er hatte sich für die Pilze entschieden.
An den Tagen, an denen er nicht auf dem Markt Dienst hatte oder für den Handel Pilze kontrollierte, arbeitete er an seinem Pilzführer. Das war ein Langzeitprojekt, er war im zwölften Jahr und noch nicht einmal bei der Hälfte. Er hatte schon früher Pilzführer herausgegeben, aber diesmal ritt ihn der Ehrgeiz, möglichst alle Fotos und Illustrationen selbst zu liefern. Deshalb verbrachte er um diese Jahreszeit die meiste freie Zeit im Wald. Wenn er nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam, war er müde.
Er war nicht erfreut, einen Polizisten in seinem Vorgarten zu sehen. »Geht das nicht zu einer normalen Zeit?« erkundigte er sich.
Es mußte gereizt geklungen haben, denn der Polizist wurde sofort angriffslustig. »Wissen Sie, wie lange ich das schon versuche?«
Huber führte ihn in die Küche und kontrollierte die Pilze, die Welti gebracht hatte, im Licht der Lampe über dem Küchentisch. Sie waren getrocknet, aber das war kein Problem für ihn. »Filziger Gelbfuß, Perlpilz, Pfifferling, Steinpilz.« Bei der fünften Sorte wurde er stutzig. »Was haben wir denn da?« Er hielt einen Pilz gegen die Glühbirne und lächelte. »Ein Zwergenmützchen. Psilocybe semilanceata oder Spitzkegeliger Kahlkopf. Ein sehr beliebtes Drogenpilzchen.«
Der Polizeigefreite Welti machte den Fehler zu fragen: »Sind Sie sicher?« Das kostete ihn eine halbe Stunde, in der ihm der amtliche Pilzkontrolleur einen kleinen Einblick in sein breites Wissen gewährte.
Er verstummte erst, als es Welti gelang, die Frage nach dem Safrangelben Samthäubchen dazwischenzuwerfen. »Schon wieder«, bemerkte er nach einer kurzen Pause. »Je seltener, desto beliebter. Zuerst die Drogenszene, dann die Wissenschaft und jetzt die Polizei.«
»Die Wissenschaft?«
»Vor ein paar Tagen hat sich ein Forscher danach erkundigt.«
»Wie heißt er?«
»Hat er nicht gesagt.«
»Können Sie ihn beschreiben?«
Huber überlegte. »Etwa sechzig, eher klein, dünn, weißes kurzes Haar.«
Welti notierte sich die Beschreibung.
Alfred Wenger erinnerte sich sehr genau an den Anruf des Polizisten. Aber das brauchte der ja nicht zu wissen. »Es gab viele Anrufe der Behörden im Zusammenhang mit Doktor Blank«, entschuldigte er sich, als er ihn in sein Sprechzimmer führte. Es war sieben. Sie hatten sich auf sechs Uhr verabredet. Blaser hatte eine halbe Stunde warten müssen, bis der letzte Patient gegangen
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