Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
zum Fenster hinausgeworfen hätten.«
»Formal ist Ihr Vater aber immer
noch der Pächter, nicht wahr? Sie konnten den Garten erst zum Herbst kündigen.«
Befriedigt beobachtete Hackenholt den erstaunten Ausdruck, der sich auf Herrn
Petzolds Gesicht breitmachte. Doch der Hauptkommissar ließ ihm keine Zeit für
eine Entgegnung. »Wo verwahren Sie den Schlüssel für das Gartentor?«
»In einer Schublade im Buffet in
der Küche.«
»Könnten Sie ihn holen?«
Wortlos, jedoch mit einer Miene,
die deutlich zeigte, für wie sinnlos Herr Petzold diese Aktion hielt, erhob er
sich, um der Bitte nachzukommen. Einen Augenblick später ertönte seine Stimme
aus der Küche: »Heidi! Wo hast du den Schlüsselbund vom Schrebergarten hin?«
Frau Petzold verdrehte die
Augen. »Ich wusste nicht einmal, dass er dort liegt«, sagte sie leise an die
Beamten gewandt.
»Heidi!«, kam es wieder aus der
Küche.
»Ich hab ihn nicht, Walter!«
»Aber du musst ihn doch
weggenommen haben!« Herrn Petzolds feuerroter Kopf erschien im Türrahmen. »Ich
habe ihn ganz sicher in die Schublade gelegt.«
»Vielleicht war es ja Jonas«,
versuchte Hackenholt den erregten Mann zu besänftigen. »Zumindest würde das
erklären, wie er in den Garten gekommen ist.«
»Aber das kann nicht sein!«,
insistierte Herr Petzold und setzte sich wieder in seinen Sessel. »Was sollte
er dort denn machen? Außer ein paar alten Gartengeräten gibt es da nichts mehr.
Die Laube habe ich schon im Frühjahr ausgeräumt.«
»Wir wissen noch nicht, was
Jonas dort gemacht hat, aber einer seiner Lehrer hat ausgesagt, dass Jonas bis
vor Kurzem regelmäßig in den Garten gegangen ist. Wie dem auch sei«, meinte
Hackenholt schnell, als er sah, dass der Vater erneut widersprechen wollte,
»wir haben uns das Grundstück bereits angesehen und festgestellt, dass in der
Laube jemand übernachtet hat. Höchstwahrscheinlich ein Obdachloser.«
»Was?« Herr Petzold war aufgesprungen.
»Dieses unnütze Pack! Wenn ich den erwische! Für den Schaden, den er
angerichtet hat, wird er mir aufkommen!«
»Da kann ich Sie beruhigen,
soweit ich sehen konnte, ist alles in Ordnung. Wir wollten Ihnen nur Bescheid
geben, dass die Spurensicherung den Garten auf Hinweise untersucht und Sie ihn
in den nächsten Tagen nicht nutzen können. Wir werden ihn vorläufig
versiegeln.«
»Und was hat das alles mit Jonas
zu tun?«, fragte Frau Petzold nervös.
»Das wissen wir auch noch
nicht«, antwortete Hackenholt ehrlich. »Aber ich fürchte, es gibt noch weitere
Ungereimtheiten, von denen Sie nichts wissen. Wann, haben Sie gesagt, war Jonas
zum letzten Mal bei seinem Großvater?«
»Letzte Woche, am Montag«,
antwortete die Mutter, ohne nachdenken zu müssen.
»Woher wissen Sie das so genau?«
»An dem Abend gab es ein
furchtbares Gewitter. Jonas ist erst sehr spät und völlig durchweicht
heimgekommen. Ich wollte schon schimpfen, aber er hat gesagt, dass er beim Opa
war und den Schwestern geholfen hat, ihn ins Bett zu bringen. An dem Tag haben
die Bewohner wohl alle ein bisschen verrückt gespielt, und die Schwestern sind
überhaupt nicht hinterhergekommen. Sie können Schwester Halina fragen, sie wird
sich sicherlich daran erinnern.«
Hackenholt starrte sie an, dann
sagte er leise: »Wir haben vor nicht einmal einer Stunde mit Schwester Halina
gesprochen, und sie hat uns ausdrücklich versichert, dass Jonas seit Anfang der
Pfingstferien nicht mehr im Pflegeheim war.«
Eine bleierne Stille legte sich
über das Wohnzimmer. Plötzlich ballte Herr Petzold die Hand zur Faust und
schlug damit auf die Sessellehne.
»Das darf doch alles nicht wahr
sein!«, brüllte er und rannte aus dem Zimmer.
»Wir müssen uns jetzt noch
einmal in Jonas’ Zimmer umschauen und ein paar Dinge mitnehmen. Vorher hätte ich
aber gerne gewusst, ob Ihr Sohn ein eigenes Bankkonto hat. Oder ein Sparbuch,
über das er frei verfügen kann.«
»Ein Girokonto.« Frau Petzold
klang unendlich müde. »Mein Mann überweist ihm immer sein Taschengeld. Außerdem
bringt Jonas das Geld, das er selbst verdient, auf die Bank. Er gibt ja fast
nichts aus.« Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. »In dem Punkt
ist er wie sein Vater.«
Sobald Hackenholt die
Wohnungstür in der Meuschelstraße aufsperrte, kam ihm laute Musik entgegen.
Mühelos erkannte er Mark Knopflers virtuoses Gitarrensolo aus den »Sultans of
Swing«. Sofort kehrte ein bisschen Schwung in ihn zurück, und er fühlte sich
nicht mehr ganz so
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