Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
fragte
Hackenholt schließlich in den Raum hinein, wo Rudolph Petzold zu finden sei.
Die Dame wandte sich abrupt um, nahm, als sie ihn sah, die Ohrstöpsel des
Diktiergeräts aus den Ohren und lächelte ihn freundlich an. Hackenholt
wiederholte seine Frage. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, die
Frau musste nicht einmal in ihren Unterlagen nachschauen. Pflegeabteilung,
erster Stock, Zimmer 1.11.
Ein paar Minuten später stellte
sich leider heraus, dass Zimmer 1.11 verschlossen war. Wünnenberg verdrehte
genervt die Augen.
»Hat sie wirklich 1.11 gesagt?«
Hackenholt nickte, machte auf
dem Absatz kehrt und lief den Flur entlang. Irgendwo musste auf einer
Pflegestation doch Personal zu finden sein. Er kam an einem hellen,
freundlichen Aufenthaltsraum vorbei. Ein alter Mann, dem die Haare zu Berge
standen, hing schief in seinem Rollstuhl und schlief mit offenem Mund. Eine
Frau saß am Fenster und brabbelte vor sich hin. Zwei andere Bewohner spielten
Karten, ein paar Wellensittiche flatterten in einer Voliere umher. Hackenholt
ging weiter, bis er an einer Teeküche vorbeikam, hinter deren Tür jemand mit
Geschirr klapperte. Er klopfte.
Eine junge Frau in weißer Hose
und rotem Oberteil fragte ihn, womit sie ihm helfen könne. Ihr osteuropäischer
Akzent war nicht zu überhören. Hackenholt wies sich aus und erklärte ihr, dass
er Herrn Petzold suche. Sie schüttelte leicht den Kopf.
»Da haben Sie einen ganz ungünstigen
Tag erwischt. Herrn Petzold geht es heute nicht sonderlich gut. Ich glaube
nicht, dass er Sie verstehen wird.«
Sie ging ihm voran zurück zum
Aufenthaltsraum und beugte sich über den Mann, der schlafend im hochlehnigen
Rollstuhl saß.
»Herr Petzold. Hier ist Besuch
für Sie«, sagte sie nahe an seinem Ohr, während sie mit der Hand leicht das
abstehende Haar glättete.
Der alte Mann öffnete die Augen
und gab ein paar unartikulierte Laute von sich. »Die Herren sind von der
Polizei.« Doch schon während sie ihm dies erklärte, schlossen sich die Augen
wieder, und der Mann sank zurück in die Welt, aus der er vor ein paar Sekunden
erst aufgeschreckt worden war. Die junge Frau schaute Hackenholt an und zuckte
bedauernd mit den Schultern. »Sie sehen ja selbst.«
»Gibt es denn auch Tage, an
denen man sich mit ihm unterhalten kann?«, fragte Hackenholt. »An denen er das
Geschehen um sich herum wahrnimmt?«
Die Schwester wiegte den Kopf
hin und her. »Zunehmend weniger.«
»Nun, da kann man nichts
machen«, war alles, was Hackenholt als Antwort in den Sinn kam. Jetzt erst sah
er, dass die Pflegerin einen kleinen Anstecker mit ihrem Namen trug. »Schwester
Halina, wissen Sie vielleicht, wann Jonas, der Enkel von Herrn Petzold, zum
letzten Mal hier war?«
»Oh, das ist schon länger her.
Anfang Juni.«
»Besucht er seinen Großvater
denn nicht regelmäßig?«
»Anfangs kam er tatsächlich
zweimal pro Woche und ist immer mit seinem Opa durch den Stadtpark gefahren.
Manchmal blieben sie so lange weg, dass wir uns schon Sorgen gemacht haben.
Dann plötzlich ist er überhaupt nicht mehr gekommen. Mich hat das schon
verwundert, weil er ein sehr inniges Verhältnis zu seinem Großvater zu haben
schien. Wir haben uns sogar in der Teamsitzung kurz darüber unterhalten.«
»Mit dem Zeitpunkt des letzten Besuchs
sind Sie sich aber sicher, oder? Manchmal vertut man sich ja bei solchen
Schätzungen.«
Der Blick, den sie ihm zuwarf,
sprach Bände: Wenn jemand darüber Bescheid wusste, wie leicht Leute das Gefühl
für die Zeit verloren, dann sie. »Ja, da bin ich mir ganz sicher. Jonas war zum
letzten Mal Anfang der Pfingstferien hier.«
»Na, das scheint also auch
nicht so ganz mit dem übereinzustimmen, was uns die Eltern gestern erzählt
haben«, brummte Wünnenberg, sobald sie sich von Schwester Halina verabschiedet
hatten und außer Hörweite waren. »In meinen Ohren hat das eher so geklungen,
als würden sie glauben, dass Jonas seinen Großvater noch immer mehrmals die
Woche besucht.«
»Ja. Die eigentliche Frage ist
allerdings, warum seine Besuche so plötzlich aufgehört haben.« Bevor Hackenholt
noch weitere Spekulationen darüber anstellen konnte, wurde er vom Klingeln
seines Handys unterbrochen. Es war Saskia Baumann.
»Also, mied denner Gleingäddner,
dou hasd mer er ganz schee hadde Nuss zern Gnaggn geem«, beschwerte sich die
Kollegin. »Ersu leichd, wäi mer si des dengd, isses fei ned. Also nix då, vo
weeng ermol schnell ban Amd fier Irchendwos oorufm. In Gaddnbauamd
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