Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
gab es auf der schmalen Straße nicht, die damals nach den
Bedürfnissen von Fuhrwerken angelegt worden war und nicht den DIN -Vorschriften des heutigen
Straßenbaus entsprach. Auf Höhe der Hausnummer 97 blieb Sophie stehen.
»Schau mal hier!« Sie zeigte zur
anderen Straßenseite hinüber. »Das ist das letzte in Nürnberg erhaltene
Schwedenhaus.«
Hackenholt musterte das
unauffällige kleine Häuschen, das von einem mächtigen, tief heruntergezogenen
Walmdach fast erdrückt wurde. Durch die drei kleinen Fensterchen, alle mit
hölzernen Fensterläden, drang bestimmt nur wenig Licht ins Innere.
»Auf den ersten Blick sieht es
nicht gerade einladend aus«, stellte der Hauptkommissar nach eingehender
Betrachtung fest. »Was ist so Besonderes daran? Und warum wird es Schwedenhaus
genannt?«
»Weil es noch aus der Zeit des
Dreißigjährigen Krieges stammt, der ja auch Schwedenkrieg heißt.«
»Dieses Haus wurde im 17. Jahrhundert gebaut?«, fragte Hackenholt ungläubig.
Sophie schüttelte den Kopf.
»Nicht ganz. Es lässt sich sogar auf das Jahr 1556 zurückdatieren. Ein
typisches Bauernhaus. Früher waren sie allerdings strohgedeckt.« Sie hielt
inne. »Kennst du Albrecht Dürers ›Ansicht von Kalchreuth‹? Das Bild zeigt, dass
um 1500 die Dörfer in der Gegend alle von solchen Bauten geprägt waren. Soweit
ich mich erinnern kann, gehört es allerdings zu den Aquarellen, die seit 1945 verschollen
sind. Aber in verschiedenen Kunstführern gibt es Abbildungen davon.« Sie sah
noch einmal zu dem Häuschen hinüber. »Kannst du dir vorstellen, dass das Haus
vor einem Jahr um ein Haar abgerissen worden wäre?«
Sie liefen weiter, bis sie an
einem eingeschossigen Bauernhaus aus Sandstein mit dreigeschossigem
Mäander-Volutengiebel und Stockwerksgesims vorüberkamen. Sophie blieb stehen.
»Hier hat früher meine Großtante
gelebt«, sagte sie leise. »Das Haus stammt aus dem Jahr 1840. Und dort drüben«,
sie deutete auf einen Hügel rechter Hand der Einfahrt, »das ist der
Kellerbuckel. Quasi ein externer Keller, ein ummauerter Raum mit einer
Gewölbedecke. Von außen hat man Erde zu einem kleinen Berg darüber aufgehäuft,
damit es drinnen zu jeder Jahreszeit schön kühl ist. Die Häuser wurden damals
nicht unterkellert.« Sophie machte eine Pause, bevor sie fortfuhr. »So ein Haus
habe ich mir immer gewünscht. Immer. Aber es soll wohl nicht sein.« Sie legte
einen Arm um Hackenholt. »Vielleicht sollten wir endlich aufhören, ein altes
Haus zu suchen, und uns nach dem Gegenteil umschauen, nach einem hypermodernen?
Jedes alte würde ich immer mit diesem hier vergleichen.«
Hackenholt drückte Sophie an
sich. Er merkte, wie verbunden sie sich dem Haus fühlte und dass es ihr wichtig
gewesen war, es ihm endlich zu zeigen.
»Wenn du glaubst, dass du dich
auch in einem hypermodernen Haus wohlfühlst, können wir uns gerne nach einem
umsehen. Wie wäre es mit einem quadratischen mit runden Fenstern?«, fragte er
um Leichtigkeit bemüht. Im Licht der aufflammenden Straßenlaternen sah er zu
seiner Erleichterung, dass Sophie grinste.
»Ja, genau so eins. Und rot muss
es sein. Rot mit weißen Fenstern.«
Freitag
Am Morgen rief Christine
Mur an und bat, die Besprechung auf mittags zu verschieben, da sie hoffte, bis
dahin schon erste Ergebnisse präsentieren zu können. Also machten sich
Hackenholt, Wünnenberg, Stellfeldt und Saskia Baumann schon in der Früh auf den
Weg in die Tucher-Schule. In einer Woche begannen die Sommerferien, und die
Zeit bis dahin zerrann ihnen allmählich zwischen den Fingern. Sie mussten
unbedingt mit Jonas’ Klassenkameraden und seinen Nachhilfeschülern sprechen.
Hackenholt hatte vom Präsidium aus angerufen und ihr Kommen angekündigt.
Da niemand genau wusste, wem
Jonas Nachhilfe erteilte, und das Handy des Jungen bei der Lösung der Frage
auch nicht weiterhalf, entschied sich der Schulleiter für eine kurze Durchsage.
Er forderte jeden Schüler auf, der bei Jonas Nachhilfestunden nahm, ins
Sekretariat zu kommen. Binnen zehn Minuten trafen dort ebenso viele Schüler
ein. Die Beamten verteilten sich mit den Jugendlichen auf ein paar leere
Klassenzimmer und sprachen dort mit jedem einzelnen. Dabei fanden sie heraus,
dass Jonas ein sehr geduldiger Lehrer war, der den Jüngeren in Latein, Mathematik
und Chemie half. Er kam immer pünktlich zu den Stunden, meckerte aber auch
nicht herum, wenn mal eine ausfiel. Er konnte den Stoff gut und in einfachen
Worten erklären und hatte immer
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