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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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noch, aber es ist nicht mehr so schlimm.«
    Ich habe nachgedacht. Ich glaube, ich werde meiner Mutter meine Träume nicht erzählen. Ich behalte sie lieber für mich, weil ich Angst vor ihrer Reaktion habe. Ich verstecke mein Heft, und wenn es voll ist, nehme ich das nächste. Ich sage einfach, es wäre für die Schule. Oft träume ich fast denselben Traum. Jemand beobachtet mich, aber ich weiß nicht, wer es ist. Ich erkenne einen Schatten, der mich von fern anschaut, aber wenn ich mich nähere, flieht er. Ich wüsste gern, wer das ist. Es fällt mir schwer, zu beschreiben, was ich dabei fühle. Es ist zu schwierig.
    Einmal hat meine Mutter mich Karussell fahren lassen. Sie hat mich in einen blauen Sportwagen gesetzt. Hinter mir war ein Pferd, das sich hob und senkte. Es war ein großes, schwarzes Pferd mit starren, weißen Augen, die mir Angst machten. Ich konnte nicht erkennen, wer darauf saß, sondern sah nur Hände, die die Zügel fest umklammerten. Als ich an meiner Mutter vorbeikam, hat sie mich nicht angeschaut, sondern sich mit anderen Müttern und Kindern unterhalten. Ich hatte Angst. Ich habe sie gerufen, aber sie hat sich nicht einmal umgedreht. In der Nacht hatte ich Albträume. Als das Karussell anhielt, wurden die anderen Kinder von ihren Müttern abgeholt. Ich nicht. Das schwarze Pferd galoppierte davon, mit dem Schatten auf dem Rücken.
    Eines Abends saß Mutter in ihrem Zimmer auf dem Bett vor dem offenen Schrank. Ich glaube, sie las einen großen Brief und hat mich nicht gehört. Ich fragte, was sie da las. Als ich mit ihr sprach, ist sie so erschrocken, dass sie mich anschrie, ich solle weggehen. Es war wohl der große Brief, der ihr Angst machte. Nicht ich.

3
    D IENSTAG , 5. A UGUST 2003
    Mistral war es leid, schlecht zu schlafen und sich nur im Bett herumzuwälzen. Um halb fünf ging er in den Garten, setzte den Kopfhörer seines iPod auf und lauschte mit geschlossenen Augen und im Nacken gekreuzten Händen den leisen Bluesklängen von John Lee Hooker. Die Musik beruhigte ihn. Er glitt in einen sanften Halbschlaf ohne zusammenhängende Gedanken hinüber.
    Nachdem Clara aufgestanden war, machte sie ihm einen leisen Vorwurf.
    »Wenn du nicht länger schläfst, hältst du den Tag über nicht durch.«
    »Das geht schon. So, wie es im Dienst läuft, werde ich schon nicht zu müde.«
    Die Nachrichten beschäftigten sich hauptsächlich mit der Hitzewelle und den daraus resultierenden Umweltproblemen. Die Ozonwerte in Paris lagen weit über der Norm, vor allem weil keine Luftbewegung herrschte. Ludovic schlug Clara vor, gemeinsam zu frühstücken. Clara arbeitete in der Nähe der Champs-Elysées bei einem renommierten Parfümhersteller. Sie war äußerst erfolgreich und hatte zwei bekannte Düfte kreiert.
    Mistral brauchte nicht lange bis zum Präsidium. Er nahm sich die Zeit, mit den Leuten von der Einsatzleitung zu plaudern, die ihre vierundzwanzigstündige Schicht um sieben Uhr morgens begonnen hatten. Die Nacht war ruhig gewesen – kein Einsatz für die Kriminalpolizei. Bernard Balmes erledigte das morgendliche Meeting in zwanzig Minuten und wies erneut auf die besorgniserregend ansteigende Sterberate bei älteren Menschen hin. Die Beamten verließen Balmes’ Büro in kleinen Gruppen.
    »Komisch«, bemerkte einer, »weder in den Nachrichten noch in den Zeitungen erfährt man etwas darüber. Als gäbe es die vielen Toten gar nicht. Jeder redet über die Hitzewelle, aber niemand von denen, die daran sterben. Man hat den Eindruck, dass nur die Feuerwehr, die Polizei und die Sanitäter auf dem Laufenden sind.«
    »Das ist mir auch aufgefallen«, bestätigte Mistral. »Aber du wirst sehen – sobald die Presse Wind davon bekommt, geht es denen an den Kragen, die zu lange nachgedacht haben, ehe sie tätig wurden.«
    Nach der Rückkehr in sein Büro ließ Mistral einen der Kriminaldirektoren kommen, um mit ihm einen alten, sehr komplizierten Fall zu erörtern. »Wir sind allen Spuren gefolgt, leider ohne Erfolg«, lautete das Schlusswort der Akte.
    Nachdem der Ressortleiter gegangen war, dachte Mistral einen Augenblick nach, ehe er zum Telefon griff und eine Nummer wählte, die er auswendig kannte.
    »Guten Morgen, hier ist Ludovic Mistral. Störe ich?«
    Der Angerufene verneinte.
    »Ich würde mich gern wieder einmal mit Ihnen unterhalten und auf einen Sprung vorbeikommen ... Gleich heute Morgen? Warum nicht?«
    Mistral ging beim Bereitschaftsdienst vorbei und sagte Bescheid, dass er auf dem Handy

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