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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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vorüber. Er hatte den ganzen Tag nichts Richtiges gegessen, sondern nur hier und da ein Bier getrunken. Allmählich stellten sich die ersten Anzeichen von Trunkenheit ein: In seinem Kopf drehte sich alles, er fuhr unsicher und war kaum noch in der Lage, zwei zusammenhängende Gedanken zu fassen. Immer noch hielten sich viele Menschen in den Straßen auf, denn in den Wohnungen war es viel zu heiß. Dem Mann gefiel das nicht.
    Um zwei Uhr morgens war er wieder zu Hause, betrunken zwar, aber immer noch einigermaßen klar. Sorgfältig legte er die Arbeitskleidung für den folgenden Tag zurecht. Wie schon am Vorabend fügte er einen Spiegel hinzu, den er mit einem Faustschlag zertrümmerte, sowie ein Stück weißes, mit feiner Schrift bedecktes Papier. Er überprüfte die Boxen mit den Latexhandschuhen und den Präservativen, reinigte den Schlagstock mit einem in Alkohol getauchten Tuch und spülte die Gummibadehaube aus.
    »Bereit für den zweiten Akt«, murmelte er.

A USZUG AUS DEN T RAUM - UND T AGEBÜCHERN DES J.-P. B.
    1978
    Mein Hund Tom ist jetzt drei Jahre alt. Er ist größer geworden, aber nicht viel. Umso besser. Große Tiere machen mir Angst. Tom ist immer bei mir, und nachts schläft er in meinem Zimmer. Ich finde das beruhigend. Er frisst nichts, was nicht ich ihm gebe. Mutter hat gesagt: »Erkläre deinem blöden Hund gefälligst, dass ich nicht vorhabe, ihn zu vergiften, obwohl ich es manchmal gern täte.«
    Vom einen auf den anderen Tag hat sie sich entschlossen, mich von der Mittelschule zu nehmen. Dabei war ich nicht schlecht: Ich war Klassenzweiter und bei Aufsätzen sogar der Beste. Und zwar mit Abstand, hat mein Lehrer gesagt. Sie behauptet, dass sich die anderen Kinder über mich lustig machen. Das stimmt zwar, aber es liegt an ihr, weil sie dauernd vor der Schule steht. Eines Tages hat der Direktor mit ihr gesprochen, und das ist nicht gut ausgegangen. Sie hat geweint. Sie hat mich angeschrien, alles wäre nur mein Fehler. Ich habe nicht verstanden und bekam eine heftige Ohrfeige, weil ich gefragt habe, warum.
    Mein Lehrer leiht mir Bücher, weil er weiß, dass ich gern lese. Eines Abends bei Schulschluss hat er zu mir gesagt: »Wer liest, verleiht seinen Träumen Flügel und kann der Wirklichkeit entfliehen. Ich weiß, wie sehr du die Bücher und das Schreiben liebst. Lies und mach dir klar, wie die Geschichten geschrieben sind. Ich bin ganz sicher, dass du bald selbst welche schreibst.« Ich bin ganz schnell davongerannt, weil Mutter mich immer abholt und nicht will, dass ich sie warten lasse. Um ihr meine Verspätung zu erklären, habe ich ihr wiederholt, was mein Lehrer mit gesagt hatte. Sie hat nur die Schultern gezuckt: »Was weiß der Blödmann schon?« Seither ist mir klar, dass ich ihr nie mehr etwas erzählen und ihr nie meine Hefte zeigen werde.
    Mutter ist in mein Zimmer gekommen. Ich stand am Fenster. Es war wie ein Magnet, der mich anzog. »Was stehst du da so reglos rum?«, hat sie mich gefragt. Ich habe nicht gewagt, sie anzulügen. »Irgendetwas da draußen zieht mich an. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich würde gern nachschauen.« Ich erwartete eine Ohrfeige. Doch sie schloss nur langsam das Fenster. »Was soll da schon sein? Gönne deiner Fantasie ein bisschen Ruhe und geh schlafen.«
    Sie weiß noch immer nicht, dass ich meine Träume aufschreibe, und auch nichts anderes. Ich habe schon drei dicke Hefte gut versteckt. Ich weiß, dass sie voller Fehler sind, aber die kann ich später korrigieren, wenn ich groß bin.
    Ich bin es leid. Ich warte sehnsüchtig auf die Nacht. Seit ich nicht mehr in die Schule gehe, bleiben mir nur noch die Nächte. Und selbst nachts ist es manchmal schwierig. Der Schatten ist oft da. Ich spüre ihn, allerdings nie nah bei mir. Ich rufe ihn, doch er dreht sich nicht einmal um. Ich kann ihm nicht näherkommen. Und doch habe ich den Eindruck, dass er auf mich wartet. Ich habe keine Angst vor ihm. Ich freue mich sogar aufs Einschlafen, weil ich ihn dann wiedersehe. Ich nenne ihn den Schatten, weil ich nicht weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Manchmal wache ich morgens auf, ohne ihn gesehen zu haben. Dann bekomme ich Angst, dass er für immer fort ist, und den ganzen Tag geht es mir nicht gut. Einmal habe ich ihn drei Monate lang nicht gesehen. Es war schrecklich. Aber dann war er wieder da, doch er lief immer noch fort, wenn ich mich näherte. Manchmal bin ich es leid und möchte ihn nicht wiedersehen. Aber ich habe keine Macht über

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