Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
Zu seiner Gruppe gehören ein paar ausgemachte Spaßvögel, die werden das Ding schon schaukeln.«
Mistral und Calderone aßen in einem kleinen Restaurant in der Nähe des Präsidiums zu Mittag. Es wurde von einem Griechen geführt und häufig von Polizisten besucht.
Mistral aß und sprach wenig. Er sah Calderone zu, der akribisch sein Fleisch schnitt und sorgfältig kaute.
»Wissen Sie, an wen Sie mich erinnern, Vincent?«, fragte Mistral lächelnd.
»An Lino Ventura, nicht wahr? Meine Frau hat mich schon oft mit ihm verglichen.«
»Ihre Frau hat recht. Sie ähneln Lino Ventura. Sie essen mit der gleichen Ruhe und der gleichen Präsenz wie er. Sogar von der Figur her gleichen Sie ihm. Nehmen Sie das bitte als Kompliment. Ich mochte Lino Ventura. Ich fand ihn einfach großartig.«
»Vielen Dank. Ich übertreibe es sogar manchmal ein bisschen, damit die Kollegen etwas zu lachen haben. Ich weiß übrigens auch, dass sie mich Lino nennen, wenn ich nicht hinhöre.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich noch einmal darauf zurückkomme«, bemerkte Calderone später beim Kaffee, »aber ich habe den Eindruck, dass Sie nicht ganz in Form sind. Oder irre ich mich?«
Mistral wich seinem Blick nicht aus. Mit einer Handbewegung lehnte er den Digestif ab, den der Wirt ihnen anbot.
»Nein, Sie irren sich nicht. Ich fühle mich schlapp, habe keine gute Kondition und wenig Appetit.« Mit dem Kinn wies er auf seinen kaum angerührten Teller. »Ich nehme an, es ist die Hitze. Ich schlafe auch nicht besonders gut.«
»Haben Sie sich von Ihrem letzten Fall wieder vollständig erholt?«
»Aber ja. Die Geschichte ist vergangen und vergessen.«
Calderone nickte. Mistral hatte ihn nicht wirklich überzeugen können.
Der restliche Arbeitstag verlief ohne besondere Vorkommnisse. Mistral hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Gegen halb acht stieg er in sein Auto, drehte die Klimaanlage bis zum Anschlag auf und schaltete das Radio ein. Es war auf den Sender FIP eingestellt. Der Vorspann einer Jazz-Sendung erklang, ein Titel von Joe Zawinul.
Um halb acht schritt der Mann zur Tat. Ermüdet hatte er seinen Dienst beendet und dankend das Angebot abgelehnt, mit den Kollegen noch ein Glas trinken zu gehen. Dann war er zu seinem Auto gegangen. Nach kurzem Nachdenken hatte er sich entschlossen, sein Programm zu ändern. Der neugierige Mensch in der Rue Monsieur-le-Prince beunruhigte ihn. Um unerkannt zu bleiben, wollte er vorsichtshalber in der Rue Madame beginnen. Sein Auto parkte er hinter einem Lieferwagen, nicht allzu weit vom Haus entfernt, nahm eine leere Reisetasche aus dem Kofferraum und schulterte den am Vorabend vorbereiteten Rucksack. Mit lässigen Schritten suchte er die Wohnung der jungen Frau auf. Er lauschte einige Sekunden an der Tür und zog zufrieden ein schwarzes Lederetui aus der Tasche, dem man die Spuren eines langen Gebrauchs ansah. Dann klingelte er. Die junge Frau öffnete die mit einer Sicherheitskette versperrte Tür einen Spalt und blickte ihn fragend an. Mit einer geübten Geste präsentierte der Mann seinen Ausweis – die französische Flagge, Foto und Stempel wiesen ihn offiziell als Polizisten aus.
»Guten Abend, Madame. Ich bin von der Polizei. Dürfte ich bitte hereinkommen? Wir stellen Nachforschungen über einen Ihrer Nachbarn an, und ich möchte Ihnen die Fragen nicht hier auf der Treppe stellen.«
Der Mann legte eine freundliche Autorität an den Tag. Der Ausweis, den er mit ausgestrecktem Arm präsentierte, verdeckte den unteren Teil seines Gesichts.
Clara lehnte freundlich eine Einladung zum Abendessen bei ihren neuen Nachbarn ab. Sie wusste, dass es Ludovic keinen Spaß machen würde, und wollte außerdem den Fragen aus dem Weg gehen, die die meisten Leute stellten, wenn sie von dem Beruf ihres Mannes erfuhren. Die Sätze begannen fast immer auf die gleiche Weise: »Ach, Sie sind bei der Polizei? Da möchte ich Sie doch gleich einmal um Rat fragen. Wissen Sie, dieser Tage fuhr ich ganz normal durch die Stadt, als ich plötzlich herausgewunken wurde ...« Und so weiter. Ludovic pflegte mit ausgesprochener Liebenswürdigkeit auf solche Fragen zu antworten, die ihn jedoch unendlich nervten. Genau das wollte Clara ihm ersparen.
Bei einem leichten Abendbrot plauderten sie über dies und das. Nach dem Essen beobachtete Clara ihren Mann sehr aufmerksam. Er setzte sich im Wohnzimmer in einen Sessel und blätterte zerstreut in einem Fotoalbum. Die Bilder hatten sie vor einigen Monaten zu Beginn seines
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