Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
alle Teams, die in der Wohnung waren, genau unter die Lupe zu nehmen. Wir geben dir natürlich sofort Bescheid, wenn wir eine hieb- und stichfeste Liste haben.«
»Sobald ich die habe, setze ich mich mit den jeweiligen Dienststellenleitern in Verbindung. Sonst noch etwas?«
Mistral stand auf und besorgte ein paar kühle Getränke. Balmes öffnete eine Dose Bier und trank sie mit kleinen Schlucken leer. Obwohl die extreme Hitze nachgelassen hatte, war es immer noch sehr warm. Mistral spürte, wie ihn Müdigkeit übermannte. Er berichtete Balmes von den Ohrabdrücken an den Wohnungstüren der Opfer.
»Erwartest du ein bestimmtes Resultat?«
»Ich hoffe, dass wir DNA-Spuren sicherstellen können.«
»Und wenn nichts dabei herauskommt?«
»Dann suchen wir weiter.«
»Und was zum Beispiel?«
Bernard Balmes konnte seine Unzufriedenheit über den langsamen Fortgang der Ermittlungen kaum verbergen.
»Bernard, wir sind dabei, alle Gegebenheiten Millimeter für Millimeter zu analysieren. Mit Sicherheit wird es neue Erkenntnisse geben, aber in diesem Fall geht es nun einmal nicht so schnell.«
»Das habe ich auch schon begriffen. Ruf mich an, sobald du Näheres weißt. Wann, glaubst du, ist es so weit?«
»In den nächsten Tagen.«
Mistral hatte keine Lust mehr weiterzureden. Calderone verstand ihn. Dalmate schwieg und schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Balmes hatte den Eindruck, dass Mistral rein körperlich kaum in der Lage sein würde, den Fall zu lösen, hütete sich aber, diesen Gedanken auszusprechen. Trotzdem überlegte er, wer den Kommissar im Notfall ersetzen könne. Er bedankte sich für das Bier und verließ, gefolgt von Calderone und Dalmate, Mistrals Büro.
Mistral stand auf und streckte sich. Er fühlte sich umso müder, als der Adrenalinstoß nach den Enthüllungen von Élisabeth Maréchal inzwischen längst nachgelassen hatte. Seine Sekretärin hatte ihm die Unterschriftsmappen mit der Abendpost auf den Schreibtisch gelegt. Seufzend machte er sich an die Arbeit. Gegen 20.00 Uhr begab er sich auf den Heimweg. Er fuhr langsam. Im Tunnel von La Défense verkündete ein Schild, dass Radarkontrollen durchgeführt würden. Keine Sorge , dachte er. Ich fahre mindestens zehn Stundenkilometer unterhalb der erlaubten Höchstgeschwindigkeit .
Im Auto lief leise eine CD von Gary Moore. Mistral fuhr so langsam, dass alle anderen Autos ihn überholten. Er hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Er riss die Augen auf und öffnete alle Fenster; trotzdem verschwamm die Straße vor seinen Augen, und er begann, doppelt zu sehen. Plötzlich sackte sein Kopf nach vorn. Der Sekundenschlaf genügte, um den Wagen von der Straße abkommen zu lassen. Mistrals Auto prallte gegen die Tunnelwand.
Die Kollision war nicht besonders heftig, zerschrammte aber die gesamte rechte Seite des Fahrzeugs. Mistral schrak auf und fragte sich verwirrt, wo er sich befand. Andere Autos fuhren hupend an ihm vorüber, hielten aber nicht an. Es dauerte eine ganze Minute, ehe er reagieren konnte. Er schaltete die Warnblinkanlage ein, stieg aus und begutachtete den Schaden. Der Wagen war noch fahrtüchtig, auch wenn nur noch ein Scheinwerfer funktionierte. Als Mistral zu Hause ankam, parkte er den Wagen ein Stück weit entfernt. Zu Clara sagte er nichts.
»Heute ist Dienstag, Ludovic. Du baust zusehends ab. Warum nimmst du dir nicht den Freitag frei, und wir genehmigen uns ein verlängertes Wochenende? Wir könnten einen langen Spaziergang machen. Ich fahre. Wenn du willst, können wir auch zu Hause bleiben. Aber du musst dich unbedingt ausruhen!«
»Ich gebe dir absolut recht, Clara, und ich weiß durchaus, wie es um mich steht. Aber unsere Ermittlungen sind gerade dabei, Fahrt aufzunehmen. Ich kann unmöglich am Freitag zu Hause bleiben. Jetzt kann jederzeit die heiße Phase beginnen. Sobald der Fall gelöst ist, verspreche ich dir, einen Gang zurückzuschalten.«
»Wie du meinst!«
27
M ITTWOCH , 20. A UGUST 2003
Olivier Émery und seine Mutter saßen einander gegenüber am Küchentisch. Beide hatten eine Tasse Kaffee in der Hand und ein geschmiertes Butterbrot vor sich. Émery hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, sondern sich unablässig gefragt, warum er zurückgekommen war. Nichts hatte sich verändert.
Das Abendbrot am Vortag war fast stumm verlaufen, als hätte es die fast zwanzigjährige Funkstille zwischen den beiden nicht gegeben. Ehe Émery sich zurückzog, ging er ins Bad, wo er instinktiv den Kopf senkte,
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