Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
Schokolade.«
Die beiden Beamten setzten den Hebel an. Gleich beim ersten Versuch gab das Schloss ein kurzes Geräusch von sich, und die Tür sprang auf. Die Polizisten warfen einen geübten Blick ins Innere der Wohnung, während das Ehepaar Lestrade, das vorsichtshalber einen Schritt zurückgewichen war, neugierig zusah.
Mit vorgehaltener Waffe betraten Mistral und Calderone, gefolgt von zwei weiteren Beamten, Émerys Wohnung. Später sollten die Lestrades genussvoll alle Einzelheiten schildern. »Natürlich war uns etwas mulmig zumute, obwohl wir uns beim Aufbrechen der Tür im Hintergrund gehalten haben. Danach war alles sehr schnell vorbei. Die Polizisten haben ihre Waffen wieder eingesteckt, denn in der Wohnung war niemand. Alle sechs trugen Latexhandschuhe, wie man es manchmal in Fernsehkrimis sieht. Einer von ihnen blieb zum Schutz bei uns stehen. Der Chef hatte ein sehr markantes Gesicht – sehr blass und mit tief liegenden, dunklen Augen. Er sah aus, als würde er jeden Abend feiern und nicht viel schlafen. Eine echte Nachteule.«
Schnell durchsuchte Mistral die kleine, peinlich saubere Wohnung und öffnete die Schränke einen Spaltbreit. Alles war leer. Er fand weder Kleidungsstücke noch irgendwelche persönlichen Habseligkeiten. Rein gar nichts. Im Bad sah es ebenso aus. Als hätte nie jemand in dieser Wohnung gelebt.
»Hinter der Eingangstür ist ein großer Spiegel angebracht«, sprach er in sein Diktafon. »Er misst einen Meter sechzig in der Höhe, ist sechzig Zentimeter breit und drei Millimeter dick. Er ist komplett mit Zeitungspapier verhüllt.«
Um ganz sicherzugehen, hatte er eine Ecke des Papiers entfernt. Dann bat er das Ehepaar Lestrade in die Wohnung.
»Besitzt Monsieur Émery ein Auto?«
»Ja, einen dunkelblauen Ford Mondeo. Ein älteres Baujahr«, bestätigte Henri Lestrade. »Ich habe ihn ein paarmal ein- und aussteigen sehen, wenn er in der Straße geparkt hat.«
»Mir fällt auf, dass Sie sich da sehr sicher sind«, stellte Mistral fest.
»Ich habe mich schon immer für Autos interessiert und irre mich nie.«
»Kennen Sie vielleicht zufällig auch die Nummer?«
»Nein, die weiß ich nicht. Solche Dinge sind mir egal.«
»Na, immerhin kennen wir jetzt die Marke. Wie sieht Ihr Nachbar aus?«
Die beiden alten Leute fingen gleichzeitig an zu sprechen. Mistral gebot ihnen mit erhobener Hand Einhalt. Henri Lestrade warf seiner Frau einen Blick zu und begann:
»Ich habe öfter mit ihm gesprochen und ihn aus der Nähe gesehen.«
»Ja, und weiter?«
»Ich habe erfahren, dass er Polizist ist. Ehrlich gesagt sah er eigentlich nicht danach aus. Jedenfalls weniger als die Männer, die hier bei Ihnen sind.«
»Das ist wirklich interessant«, sagte Mistral und musste ein wenig lächeln. »Aber wie war er sonst – äußerlich meine ich?«
»Etwa mittelgroß, sehr schlank, kurzes Haar. Aber am auffallendsten war sein Gesicht. Es sah wirklich Furcht erregend aus. Über Wangen, Mund, Kiefer und Kinn zogen sich tiefe Narben. So, als hätte er einen Autounfall gehabt und wäre durch die Windschutzscheibe geflogen.«
Mistral warf Calderone einen kurzen Blick zu und wandte sich wieder an Lestrade.
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ich schon. Aber er antwortete immer nur mit zwei, drei Worten, und das ziemlich leise. Ich könnte nicht sagen, dass ich wirklich seine Stimme gehört habe. Er machte jeden Morgen Lärm und ...«
»Die Geschichte kenne ich«, unterbrach Mistral. »Ich habe alle Berichte einschließlich Ihrer Aussage gelesen. Wir bitten Sie, mit uns zu kommen, Monsieur Lestrade. Sie müssen uns helfen, ein Phantombild von Émery zu erstellen. Keine Sorge, wir bringen Sie auch wieder nach Hause.«
»Was will der Chef von dir?«, erkundigte sich Madame Lestrade. »Ich konnte nicht alles verstehen.«
»Ich soll ein Phantombild unseres Nachbarn machen.«
»Das ist ja wirklich wie im Fernsehen! Ich komme mit und schaue zu. Dann kann ich es später den Nachbarn erzählen.«
Mistral telefonierte mit dem Einsatzkommando und bat darum, dass der Erkennungsdienst eventuelle Spuren in der Wohnung sichern sollte.
In seinem Haus in Pontoise genoss es Jean-Pierre Brial, der Enge des Gefängnisses entkommen zu sein. »Diese Schlacht haben wir gewonnen«, hatte sein Anwalt gesagt, »und die anderen werden wir auch gewinnen. Aber dafür müssen Sie sich ein bisschen anstrengen und mich mit einem vernünftigen Alibi unterstützen. Das, was Sie bisher dazu gesagt haben, ist einfach zu
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