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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Émery zwischen ihnen hindurchging, ohne sie zu beachten.
    Die sieben oder acht Halbwüchsigen wechselten einen erstaunten Blick. Drei von ihnen standen auf und folgten Émery. Es war noch nicht wirklich dunkel, doch das Tageslicht schwand zunehmend. Die Straße war menschenleer. Émery hörte näherkommende Schritte. Die Jugendlichen sprachen und lachten laut. Als sie ihn überholten, schlug einer von ihnen Émery heftig mit der Faust ins Genick. Émery taumelte gegen eine Schaufensterscheibe und fiel auf die Seite. Die drei Jugendlichen drehten sich um und bauten sich vor ihm auf. Überrascht von dem unerwarteten Angriff sprang Émery mit einem Satz auf die Beine. Die Gewalt des Schlags hatte in seinem Kopf Tausende von Nadelstichen geweckt, die jederzeit einen neuen Anfall auslösen konnten. Das jedoch durfte er nicht zulassen. Schon verspürte er das Brennen im Auge und den bohrenden Schmerz im Ohr, die ihm als Vorboten eines Anfalls nur allzu bekannt waren. Instinktiv hob er beide Hände in den Nacken und steckte den rechten Daumen in die Lederschnur.
    »Haut ab, ihr Spinner.«
    Die Jugendlichen lachten schallend, als sie Émery mit den Händen im Nacken dastehen sahen. Einer von ihnen ging mit wiegendem Oberkörper auf Émery zu und spuckte vor ihm aus. Émerys Arm schnellte vor, und im nächsten Moment schlitzte die blitzende Klinge seines Rasiermessers eine tiefe Wunde ins Kinn des tollkühnen Angreifers. Die drei Taugenichtse erstarrten. Plötzlich ergriff sie panische Angst. Sie drehten sich auf dem Absatz um und liefen davon. Der Verletzte presste sich die Hand auf das Kinn. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor.
    Émery klappte sein Rasiermesser zu und hängte es wieder auf seinen Rücken. Fünf Minuten später sprang er in eine Metro, deren Türen sich bereits schlossen. Er schluckte ein paar Schmerztabletten ohne Wasser, setzte sich und verbarg sein Gesicht in den Händen.
    Die Teams, die in der Nähe der vier Tatorte die Phantombilder herumzeigten, erhielten keine Hinweise. Um die Ermittlungen zu beschleunigen, verstärkten sie die Einsatzkräfte, die im 18. Arrondissement unterwegs waren.
    Zu diesem Zeitpunkt befand sich Émery in einer Metro, die das 18. Arrondissement verließ.
    Die Tür von Paul Dalmates Büro stand weit offen. Dalmate saß vor seinem Computer und konzentrierte sich auf den Bildschirm. Ingrid Sainte-Rose lehnte an der Wand neben der Tür. Die Flamme des Feuerzeugs warf einen warmen Lichtschein auf das Gesicht von Odile Brial, die sich die soundsovielte Zigarette des Tages anzündete.
    »Stört dich der Rauch, Herr Pfarrer? Oder ist es mein Eigengeruch?«
    Sie hatte also bemerkt, dass im Gegensatz zu den sonstigen Verhören die Tür offengeblieben war.
    »Mich stört überhaupt nichts. Aber ich muss Ihnen noch ein paar Fragen stellen.«
    »Na los, mein Junge. Bring mich zum Lachen – ich habe es nötig.«
    Draußen im Flur waren die Stimmen mehrerer Männer und einer aufgebrachten Frau zu hören. Überrascht spitzte Odile Brial die Ohren. Sie schien die Stimme der Frau zu erkennen. Als die Gruppe vor Dalmates Büro vorüberging, drehte Odile den Kopf. Auch Viviane wandte sich um. Im Bruchteil einer Sekunde erkannten sich die beiden Schwestern. Ingrid Sainte-Rose warf die Tür ins Schloss. Odile versuchte aufzustehen, vergaß aber, dass sie mit Handschellen an ihren Sitz gefesselt war. Draußen im Flur war Viviane abrupt stehen geblieben. Sie schrie so laut es ihre Stimmbänder zuließen.
    »Ruhe!«
    Mit viel Mühe brachten Gérard Galtier und seine Männer die wütende Viviane Brial zurück in sein Büro. Beide Schwestern brüllten in den höchsten Tönen unverständliche Worte – vermutlich waren es Beleidigungen. Die Polizisten warteten stoisch darauf, dass das Gewitter vorüberging, um gleich im Anschluss deutlich präzisere Fragen zu stellen.
    Mistral und Calderone hatten die Szene beobachtet. Jetzt oder nie , dachten sie.
    »Vincent, jeder von uns nimmt sich jetzt eines dieser Fotoalben und untersucht es bis ins Detail. Ich glaube nicht eine Sekunde an diese Neffen-Geschichte.«
    »Erinnern Sie sich noch, dass der Laborchef im Zusammenhang mit den DNA-Proben von Zwillingen gesprochen hat?«
    »O ja, das habe ich nicht vergessen. In den Familienstammbüchern allerdings ist davon keine Rede. Trotzdem müssen wir die Möglichkeit im Auge behalten. Wenn man jedoch das Foto von Jean-Pierre Brial mit den Phantombildern vergleicht, sieht man nicht die geringste Ähnlichkeit.

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