Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
extremen Temperaturen in Europa. Na toll. Andere Nachrichten gibt es nicht mehr. Die Hitze ist das Sommerthema 2003 , dachte Mistral.
Der Morgen begann mit dem üblichen Ritual des Führungsstabs: Kaffee und Lagebericht. Keine besonderen Vorkommnisse, keine Fälle für die Kriminalpolizei. Im August blieb es meist ruhig, so als ob Verbrecher und andere Übeltäter in Urlaub gefahren wären. Mistral kehrte in sein Büro zurück und nahm sich vor, mit den Beurteilungsgesprächen zu beginnen. Je eher desto besser , dachte er. Noch ist es schön ruhig .
Um halb elf, nachdem er fast eine Stunde mit einem Kommissar diskutiert hatte, wollte er sich mit Calderone auf einen Kaffee treffen, als ein Anruf von der Einsatzleitung kam.
»Nach einem anonymen Anruf, dass eine gewisse Élise Norman nicht auf ihr Telefon reagiere und auch nicht an ihrer Arbeitsstelle aufgetaucht sei, hat sich die Feuerwehr Zutritt zur Wohnung der betreffenden Person verschafft. Die Wohnungsinhaberin wurde tot aufgefunden. Sie ist ermordet worden.«
»Das bedeutet?«
»Der Polizist, der sich am Tatort befindet, hat ausgesagt, dass man Spiegelscherben in Gesicht und Hals der Toten gefunden hat.«
»Ich fahre hin. Informieren Sie den Bereitschaftsdienst und sagen Sie Balmes, dass ich unterwegs bin.«
Mistral drückte die Kurzwahl von Calderones interner Nummer.
»Wer hat Bereitschaft?«
»Die Gruppe von Gérard Galtier. Warum? Haben wir einen neuen Fall?«
»Vielleicht.«
»Galtier hat letzte Woche einen Mord übernommen. Zwar scheinen sich die Ermittlungen nicht allzu schwierig zu gestalten, aber er hat natürlich jede Menge Verhöre am Hals. Sollen wir nicht lieber die Verstärkung aktivieren?«
»Einverstanden. Wer ist es?«
»Dalmate.«
»Wollte Dalmate sich nicht ohnehin mit Mördern befassen? Das passt hervorragend. Heute erfüllen wir ihm den Wunsch. Wie viele Leute sind in seiner Gruppe?«
»Mit Dalmate sind sie zu fünft. Außer ihm gehören ihr die Kommissare José Farias und Ingrid Sainte-Rose und die Kriminalmeister Roxane Félix und Sébastien Morin an.«
»Ziemlich junge Leute. Der Älteste hat gerade mal zwei Jahre Erfahrung. Aber wenn es nicht klappt, können wir immer noch Galtier einschalten.«
»Kein Problem. Ich werde Dalmate und seinen Leuten zur Seite stehen, damit sie nicht ins Schlingern geraten. Ich habe sie bei der Arbeit gesehen: Ihnen fehlt noch ein bisschen Praxis, aber insgesamt sind sie gute Polizisten. Die werden das Kind schon schaukeln.«
Kaum zehn Minuten später waren Mistral, Calderone, Paul Dalmate und seine Gruppe auf dem Weg ins 6. Arrondissement.
Wie üblich war es kaum möglich, den Einsatzort zu verfehlen. Die Einsatzfahrzeuge der Schutzpolizei und der Feuerwehr parkten in der zweiten Reihe.
Ein Polizist hatte rot-weiße Hütchen aufgestellt, um den Verkehr an der Einsatzstelle vorbeizuleiten, und scheuchte neugierige Autofahrer weiter. Vor dem Haus standen zwei junge Polizisten Wache. Als Mistral gerade die Eingangshalle betreten wollte, erhielt er eine SMS von Bernard Balmes: »Erbitte umgehend Nachricht, sobald du Näheres weißt.«
Morin und Félix unterhielten sich kurz mit den beiden jungen Polizisten vor der Tür, deren Schulterklappen darauf hinwiesen, dass sie noch nicht einmal ein Jahr im Polizeidienst waren.
»Aha, die Grünschnäbel nehmen heute ein Sonnenbad!«
»Ja klar. Der Chef sitzt natürlich in einem klimatisierten Auto. Er sagt, er bekommt Kopfschmerzen von der Hitze.«
Die beiden Polizisten grüßten Mistral. Einer der beiden sagte: »Dritte Etage rechts. Ohne Aufzug.«
»Ich habe es gewusst!«, knurrte Mistral. »Bei neunzig Prozent aller Leichenfunde dürfen wir Treppen steigen! Mein Gott, stinkt das hier!«
»Das können Sie laut sagen. Wenn es schon drei Stockwerke tiefer so stinkt, muss die Leiche einen tollen Anblick bieten. Ja, ja, die Hitze!«
Calderone hatte die Bemerkung locker hingeworfen. Er wollte nicht zeigen, dass ihm die Begegnung mit dem Tod trotz vieler Jahre Berufserfahrung nach wie vor zu schaffen machte. Auf der Treppe wandte sich Mistral zu ihm um.
»Der Geruch des Todes lässt niemanden gleichgültig, Vincent. Er ist verdammt schwer zu ertragen. Wir akzeptieren den Tod nur aus sicherer Entfernung. Angeblich führt uns der Geruch deutlich vor Augen, dass wir alle sterblich sind. Daher unsere Angst davor.«
»Interessante Theorie. Und nicht von der Hand zu weisen.«
Während Mistral weiter die Treppe hinauftrabte, gab Calderone seine
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