Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
Anweisungen.
»Paul, du gehst mit uns in die Wohnung. Ihr anderen bleibt erst einmal draußen.«
»Meine Güte, das stinkt vielleicht!«, wetterte Sébastien Morin. »Einmal hätte ich beinahe gekotzt.«
»Du musst dich dran gewöhnen. Ich streiche mir ein bisschen Tigerbalsam unter die Nase, dann geht es einigermaßen.«
Roxane Félix holte ein kleines Döschen aus der Tasche und hielt es Sébastien unter die Nase.
»Ich könnte mir vorstellen, das stinkt wie Leiche mit Kampfer. Aber gib mal her; probieren kann man’s ja mal.«
Die Polizisten erreichten den Treppenabsatz, wo sie bereits von den Feuerwehrleuten und zwei Schutzleuten erwartet wurden. Der Geruch war so unerträglich, dass sie sich aus der Wohnung nach draußen geflüchtet hatten. Ein unbeschreiblicher Gestank nach verfaultem Fleisch hing in der Luft, der die Menschen lähmte und ihnen die Sprache verschlug. Mistral streifte Paul Dalmate mit einem kurzen Seitenblick. Der Neue war weiß wie ein Laken und brachte kein Wort hervor.
Mistral kannte den Mann von der Berufsfeuerwehr. Sie waren einander schon bei mehreren Einsätzen begegnet und mochten sich. Mit knappen Worten beschrieb der Hauptmann, was geschehen war.
»Wir haben einen Anruf aus einer Telefonzelle bekommen. Ein Mann rief an und meldete, seine Bekannte Élise Norman ginge nicht ans Telefon und sei bereits zwei Tage nicht zur Arbeit erschienen. Er nannte uns die Adresse und legte auf. Das war alles. Angesichts der hohen Sterblichkeitsrate bei alten Menschen schreiten wir sofort ein. Schon beim Betreten des Treppenhauses war uns alles klar. Allerdings handelt es sich hier weder um einen natürlichen Tod noch um eine Seniorin. Sie werden es selbst sehen.«
»Haben Sie den Anruf aufgezeichnet?«
»Sicher, das tun wir immer. Wir haben auch die Nummer des Apparates. Es war eine öffentliche Telefonzelle im Bahnhof Montparnasse.«
»Ich brauche bitte die Aufzeichnung.«
»Kein Problem. Ich lasse Ihnen die CD zukommen.«
Die drei Kriminalbeamten streiften Latexhandschuhe und Überschuhe aus Vlies über und folgten dem Feuerwehrhauptmann. Mistral sprach leise in sein Diktafon, beschrieb die Umgebung und hielt seine Beobachtungen fest. Der Feuerwehrmann ließ die Beamten vorgehen. Vorsichtig, um keine Spuren zu verwischen, betraten sie das Zimmer. Abgesehen von dem unerträglichen Geruch und der erstickenden Hitze war das Zimmer von einem stetigen Summen erfüllt. Tausende Fliegen krabbelten über die Leiche. Angelockt vom Verwesungsgeruch hatten sie Eier gelegt; die ersten Maden waren bereits geschlüpft und würden sich bald zu weiteren Fliegen entwickeln, die ihrerseits wiederum Eier legten.
Angeekelt wehrten die Beamten die Fliegen ab.
Mistral trat an die Leiche heran und diktierte konzentriert in sein Gerät. »Es handelt sich um eine etwa ein Meter fünfundsechzig große Frau. Sie liegt auf dem Rücken. Ihre Arme sind unter ihrem Körper angewinkelt. Der Leib ist aufgetrieben und violett. In Mund und Hals stecken Spiegelscherben. Das Gesicht ist so aufgedunsen, dass es kaum noch erkennbar ist. Halb geöffnete Lider lassen glasige Augäpfel erkennen. Auf und neben dem Gesicht der Frau befindet sich getrocknetes Blut. Sie ist völlig nackt. Möglicherweise wurde sie vergewaltigt.«
»Es ist schrecklich heiß hier drin«, stellte Dalmate fest.
»Kaum weniger als vierzig Grad«, vermutete Calderone. »Ich glaube, ich habe in Paris noch nie eine solche Hitze erlebt.«
Mistral versuchte noch immer mit der Hand die Fliegen zu verscheuchen, doch er wurde der dichten, schwarzen Wolke nicht Herr. Übelkeit überkam ihn. Nur mit viel Mühe schaffte er es, sich nicht zu übergeben. Calderone und Dalmate lehnten an der Wand, hielten sich Taschentücher vor das Gesicht und mühten sich ebenfalls, die Fliegen abzuwehren. Gemeinsam verließen sie das Zimmer.
»Das ist ja entsetzlich!«, rief Mistral draußen auf dem Treppenabsatz. »Was haben Sie als Erstes gemacht?«, wandte er sich an den Feuerwehrhauptmann.
»Wir haben die Tür aufgebrochen. Es war nicht schwierig, denn sie war nur zugezogen. Drinnen fanden wir die nackte Leiche. Über dem Gesicht lag ein blutverkrustetes Handtuch. Ich habe es fortgenommen. Im Gesicht steckten Spiegelscherben. Außerdem lag ein Blatt Papier auf ihrer Brust. Es stand etwas darauf, aber ich habe es nicht gelesen, sondern das Blatt nur auf den Tisch gelegt. Und dann diese Fliegen! Ekelhaft!«
»Haben Sie die Leiche bewegt oder irgendwelche Dinge in die Hand
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