Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
müssten ihn in die Ausnüchterungszelle sperren und für nichts und wieder nichts einen Haufen Papierkram erledigen. Los, wir verschwinden.«
»Eigentlich hast du ja recht, aber wir nehmen ihn trotzdem mit. Vorübergehende Festnahme. Das macht sich gut in unserer Statistik. Danach ist immer noch Zeit genug, zu erfahren, was die Zentrale von uns will.«
Der Mann stieg in das Polizeiauto und überlegte, was er sagen sollte. Die Polizisten waren jung, unerfahren und lachten ständig. An den Rangabzeichen auf den Schultern sah er, dass alle drei noch kein Jahr dabei waren. Der Fahrer beschleunigte rasch. Dem Mann wurde schlecht. Zu viel Bier und nur ein halbes Sandwich. Mit zitternden Händen wischte er sich den Schweiß von der Stirn, der ihm trotz aufgedrehter Klimaanlage in die Augen rann. Er brannte darauf, reden zu dürfen, um alles wieder geradezubiegen.
Die Wache, die sie schließlich betraten, sah aus wie die Polizeiwachen in allen Städten. Die gleichen Geräusche, die gleichen Möbel, die gleichen Plakate, die gleichen Gerüche. Die vom Nachtdienst müden Polizisten lehnten sich an die Pritsche und redeten über Nichtigkeiten. Der Dienststellenleiter füllte seine Karteikarte aus. Der Mann dachte darüber nach, wie schnell die ordentlich in schwarzen Kartonhüllen verwahrten Register unansehnlich wurden. Hier ebenso wie auf allen anderen Polizeiwachen.
Auf den ausgefüllten Karteikarten befanden sich im Behördenstil gehaltene und von beiden Seiten unterschriebene Lebensfragmente.
Der junge Beamte, der seine Festnahme veranlasst hatte, führte den Mann in einen Verhörraum. Der Mann bemühte sich, seine Umgebung möglichst wenig zu beachten, die ihm unordentlich und heruntergekommen schien. Schier unmöglich, sich hier aufzuhalten , dachte er. Der Raum war karg möbliert. Ein altersschwacher Schreibtisch, drei ebensolche Stühle, ein Computer und ein Drucker, die ständig von unterschiedlichen Leuten benutzt wurden. Der Mann registrierte die dunklen Gebrauchsspuren auf der Tastatur und rings um den Bildschirm. Auf dem Schreibtisch stand der Papierbehälter des Druckers. Ein Plastikkugelschreiber ohne Kappe, dessen Anblick den Mann abstieß, vervollständigte das Stillleben. Grelles, grünlich flimmerndes Neonlicht erhellte das Zimmer. Die Wände waren kahl.
Der Polizist bereitete die Alkoholprobe vor. Der Mann saß auf einem Stuhl und wartete mit gesenktem Kopf. Die Mischung aus Tegretol und Bier verhieß nichts Gutes. Er musste sich darauf konzentrieren, eine plausible Erklärung zu liefern. Die beiden anderen Polizisten gesellten sich zu ihnen. Sie brachten Coladosen mit und boten dem Mann eine an, doch er lehnte höflich ab.
»Warum sollten wir zurückkommen?«, erkundigte sich der junge Polizist und setzte sich.
»Man hat uns eine Großrazzia in den Bordellen aufs Auge gedrückt. Wir sollen den Abtransport der nicht registrierten Damen sichern. In einer Stunde erfahren wir Näheres. Du hast also ein bisschen Zeit für deinen Klienten, aber du weißt ja, es muss nicht sein.«
»Schon gut, immerhin ist das mein Job.«
Plötzlich ertönten draußen laute Stimmen. Die beiden Polizisten, die dem Verhör des Mannes zerstreut gelauscht hatten, stürmten aus dem Zimmer. In der Wache brach ein Tumult aus. Möbel stürzten um. Der junge Polizist brannte vor Neugier. Am liebsten wäre er ebenfalls hinausgerannt.
Wenige Minuten später kehrte wieder Ruhe ein. Die beiden Polizisten kamen zurück.
»Was war denn da los? Klang wie eine Schlägerei.«
Der junge Polizist sprach einen deutlichen Marseiller Akzent und trug stolz das blau-weiße Armband der Fans des Fußballvereins Olympique Marseille. Der Mann musste lächeln.
»Ach, nichts Besonderes. Ein Bekloppter, der in die Psychiatrie gebracht werden soll. Er hat sich losgerissen und ein paar Schreibtische umgeworfen. Ein armer Irrer eben. Und was macht unser Herr hier beruflich?«
»Lies selbst!«
Der Schutzmann umrundete den Schreibtisch und warf einen Blick auf den Bildschirm.
»Hast du das schon gesichert?«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Ausgezeichnet.«
Der Polizist musterte den Mann teilnahmsvoll.
»Schon gut, jetzt verstehe ich einiges. Die Zeiten sind nicht leicht, richtig? Oder was meinst du?«
Es war überstanden. Der Polizist hatte ihn geduzt. Der Mann atmete auf. Jetzt würde sich alles arrangieren.
»Du sagst es.«
»Hast du nicht den Eindruck, mit der ganzen Scheiße allein gelassen zu werden? Also hier bei uns empfinden wir es
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