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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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reinigte er Hörer und Tasten, ehe er sie benutzte. Der Geruch des Apparates verursachte ihm heftige Übelkeit. Er dachte an all die Menschen, die eine feuchte Aussprache hatten, an die verschwitzten, ungewaschenen Hände, die die Tasten berührt, und an die schmutzigen Ohren, die am Hörer geklebt hatten. Er hielt den Hörer mit einem Blatt Papier und wählte eine Nummer, die er auswendig kannte. Es war ein wenig schwierig, den Gesprächspartner zu erreichen, doch der Mann blieb hartnäckig. Er führte ein etwa dreiminütiges Gespräch, wich den meisten Fragen aus und legte wieder auf.
    Als er die Telefonzelle verließ, rann ihm der Schweiß aus allen Poren. In der schmalen Zelle, deren Glaswände mit allerlei Kleinanzeigen gepflastert waren, betrug die Temperatur sicher nicht viel weniger als fünfundvierzig Grad. Der Mann blieb einige Zeit stehen und überflog die Kleinanzeigen. Alles Mögliche war da vertreten – von erotischen Massagen über Übersetzungsgesuche bis hin zu Kochkursen für chinesische Küche. Am unteren Ende der Zettel befanden sich Mobilfunknummern zum Abreißen.
    Der Mann zuckte die Schultern und setzte seinen Weg über den Boulevard bis zu einer Metrostation fort. Er entschloss sich, nach Hause zu fahren. Nach den Morden hatte die Phase zwei des Plans begonnen. Bisher war alles glattgegangen. Jetzt aber wurde es enger und erheblich riskanter. Der Mann nahm sich vor, zu einem Arzt zu gehen und sich ein neues Rezept für Neuroleptika ausstellen zu lassen.
    Die Polizisten standen im Kreis um Léonce Legendre.
    »Für mich sieht es nach einem natürlichen Tod aus. Er ist höchstens ein paar Stunden tot; die Leichenstarre ist noch nicht eingetreten.«
    Sébastien Morin bewegte den Arm des Toten. Zur großen Erleichterung von Sainte-Rose und Morin hatte die Polizeistreife eine Schachtel Latexhandschuhe mitgebracht.
    »Es ist wahr; nichts an ihm lässt auf Gewaltanwendung schließen«, nickte einer der Streifenbeamten.
    »Aber das kann doch nicht wahr sein«, dröhnte mit einem Mal eine tiefe Stimme aus dem Hintergrund. »Ihr schon wieder! Habt ihr ein Abo, oder findet ihr es einfach nur cool, eine Leiche nach der anderen aufzutreiben? Und dazu auch noch der Nachbar der Dame von gestern. Das Mikroklima in diesem Arrondissement scheint eher ungesund, um nicht zu sagen tödlich zu sein.«
    Alle drehten sich um. »Augentoupet« stand in der Tür. Sainte-Rose und Morin erläuterten ihm in wenigen Worten die Situation.
    »Vorsicht, Freunde! Denkt an die Spuren. Macht mal die Fenster auf und das Licht an!«
    Schweigend sahen die Polizisten dem Gerichtsmediziner zu. Nach den ersten Befunden entkleidete er den Leichnam. Sorgfältig inspizierte der Arzt alle Körperteile. Zehn Minuten später richtete er sich auf. Seine Miene drückte Unsicherheit aus.
    »Ich weiß nicht, ob es sich um einen natürlichen Tod oder einen Mord handelt. Wir müssen unbedingt eine Obduktion veranlassen.«
    »Woher diese Unsicherheit?«
    Mit seinem Stift wies der Gerichtsmediziner auf die Gliedmaßen von Legendre.
    »Für einen natürlichen Tod spricht, dass keine Anzeichen von Gewalteinwirkung zu sehen sind, dass er friedlich im Sessel sitzt und dass das Zimmer ordentlich aufgeräumt ist. Er könnte an Herzversagen durch die große Hitze gestorben sein, wie schon viele andere ältere Herrschaften vor ihm.«
    Die Polizisten betrachteten die Leiche.
    »Für einen Mord sprechen die Markierungen um Mund und Nase, die auf einen Erstickungstod schließen lassen. Außerdem habe ich Spuren an den Ellbogen gefunden, als wäre der gute Mann nach hinten gefallen.«
    Gegen 18.00 Uhr betrat Jeanette Legendre die Wohnung. Als sie die Leiche ihres Vaters unter einem Tuch liegen sah, brach sie in Tränen aus.
    »Was ist mit ihm geschehen? Heute Morgen ging es ihm doch noch blendend! Woran ist er gestorben?«
    Jeanette Legendre sah die Polizisten der Reihe nach an. Zwischen ihren Händen knetete sie ein rosa Taschentuch. Die männlichen Polizisten wichen ihrem Blick aus. Sie schienen der Meinung zu sein, dass Ingrid als Frau sicher die tröstlicheren Worte finden würde.
    Ingrid nickte kaum merklich und führte Jeanette Legendre beiseite. Sehr sanft und mit viel Feingefühl erklärte sie ihr, dass eine Autopsie unumgänglich sei, um die wahren Gründe für den Tod ihres Vaters festzustellen.
    Sébastien Morin rief derweil das Bestattungsunternehmen an. Nachdem Léonce Legendre in den üblichen schwarzen Plastiksack gepackt und weggebracht worden

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