Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
krachte die schwere Eingangstür ins Schloss.
Der Mann stieß einen erleichterten Seufzer aus, schloss die Augen und konzentrierte sich auf alles, was er berührt hatte. Er musste jede Spur beseitigen. Zu allem Überfluss kündigte sich auch noch ein Anfall an. Innerhalb kürzester Zeit würde der alles zermalmende Kopfschmerz einsetzen. Der Mann konnte nichts mehr dagegen tun, selbst wenn er jetzt eine ganze Schachtel seiner Medikamente einnahm.
Das schrille Läuten des Telefons, das Legendres Tochter auf höchste Lautstärke eingestellt hatte, machte das Maß voll. Nach dem fünfzehnten Klingeln hörte es auf, aber nur, um eine Minute später wieder einzusetzen. Der Anrufer hatte wahrscheinlich befürchtet, sich in der Nummer geirrt zu haben, hatte neu gewählt und alarmierte damit das gesamte Haus. Im Kopf des Mannes gab es nur noch einen Gedanken. Du musst fliehen! Wie ein Leitmotiv wiederholten sich die Worte, so eindringlich, dass er kaum noch nachdenken konnte.
Der Schmerz – verstärkt durch das schrille Klingeln und die Angst, entdeckt zu werden – wurde so unerträglich, dass der Mann am Eingang in die Knie ging. Du musst fliehen! Du musst fliehen! , wiederholte sich die Litanei in seinem malträtierten Kopf. Er presste eine Hand auf sein linkes Auge, die andere vor den Mund, weil er fürchtete, sich übergeben zu müssen. Und in diesem Moment spürte er es. Unter seiner rechten Hand quoll eine warme Flüssigkeit empor. Nasenbluten, hervorgerufen durch den Stress. Der Mann zwang sich aufzustehen. Er torkelte in die Küche, hielt den Kopf unter kaltes Wasser und trocknete sich das Gesicht mit Küchenrolle. Ein Blatt zerriss er in mehrere kleine Stücke und stopfte sie in die Nasenlöcher. Du musst fliehen! Am liebsten hätte er geweint. Man würde ihn erwischen, dessen war er ganz sicher. Wie hätte er sich jetzt noch retten können? Du musst fliehen! Mühsam versuchte er sich zu beruhigen und zu handeln.
Er nahm einen Schwamm aus dem Spülbecken und wühlte in den Schränken, bis er eine Flasche Chlorreiniger fand. Mit dem in der Flüssigkeit getränkten Schwamm wischte er sein Blut von den Fliesen und steckte in einer lichten Sekunde den Schwamm in die Tasche. Du musst fliehen! An der Grenze zur Bewusstlosigkeit griff er nach der Küchenrolle und einem Handtuch und rieb in Windeseile alles ab, was er möglicherweise angefasst hatte. Es war nicht viel. Du musst fliehen! Das Telefon klingelte zum fünfundvierzigsten Mal, als der Mann mit einer Lage Küchenrolle in der Hand die Tür öffnete. Zuvor hatte er sich durch einen Blick aus dem Fenster vergewissert, dass die Polizisten nicht etwa schon auf dem Rückweg waren. Du musst fliehen! Er war bereits auf der Treppe, als er hastig noch einmal zurückkehrte und die Türklingel abwischte, auf der sich vielleicht sein Fingerabdruck befand. Warum hatte er auch seine Latexhandschuhe vergessen? Endlich stand er vor der großen Eingangstür des Hauses. Die Erlösung winkte!
In diesem Augenblick hörte er die Stimmen der Polizisten und der Nachbarin. Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt.
In heller Panik blickte der Mann sich um und entdeckte in einer Ecke hinter einem Pfeiler einige abgestellte Kinderwagen. Hastig flitzte er hinter die Buggys, duckte sich in den Schatten des Pfeilers und wartete. Du musst fliehen!
Die Nachbarin telefonierte auf ihrem Handy. »Es ist die Tochter von Monsieur Legendre«, flüsterte sie den Polizisten zu.
»Sie haben das Telefon lange klingeln lassen? Aha, er ist also zu Hause. Hier sind zwei Polizisten, die vergeblich an der Tür Ihres Vaters geklingelt haben. Wir konnten ihn auch draußen im Viertel nicht entdecken. Warten Sie, ich gebe Sie an die Beamtin weiter.«
Die Nachbarin reichte Ingrid das Mobiltelefon.
»Guten Tag, Madame. Augenblicklich befinden wir uns im Hausflur. Vor einer Viertelstunde waren wir schon einmal da und haben geklingelt, aber niemand hat aufgemacht, und es kamen auch keine Geräusche aus der Wohnung. Sollen wir die Tür aufbrechen? Okay, ich halte Sie auf dem Laufenden.«
Ingrid beendete das Gespräch.
»Ist sie einverstanden, dass wir die Tür aufbrechen?«, erkundigte sich Sébastien.
»Ja, aber vorher informieren wir Mistral. Wir gehen noch einmal hoch und schauen uns die Tür näher an. Ich glaube aber kaum, dass sie uns Probleme bereitet.
»Sollte der Mann tot oder in schlechtem Zustand sein, müsste seine Tochter kommen. Wissen Sie, wo sie wohnt?«
Die Nachbarin dachte mit
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