Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
Wohnhauses, in dem sein letztes Opfer gelebt hatte.
Als die Haustür krachend wieder ins Schloss fiel, eilte Legendre zu seinem Spion, um nachzusehen, wer da gekommen war.
Erst wenige Stunden zuvor war er von seiner Tochter nach Hause gebracht worden. Die Nachbarin aus der oberen Etage hatte ihm sofort von dem Mord an Lora Dimitrova erzählt. Voller Stolz, dass sie alles aus nächster Nähe miterlebt hatte, berichtete sie von den mehrstündigen Nachforschungen der Polizei. Es sei richtig was los gewesen! Léonce ärgerte sich, weil er das verpasst hatte, und die Nachbarin, der das natürlich nicht entging, trug umso dicker auf. »Wie gut hätte ich alles von meiner offenen Wohnungstür aus beobachten können«, dachte Legendre. Außerdem hatte er bereits zwei Mal einen Mann vor der Tür von Mademoiselle Dimitrova gesehen. Falls die Polizisten noch einmal zurückkehrten, würde er es ihnen gleich sagen. Und dann würde die Nachbarin ganz schön dumm aus der Wäsche schauen! Die machte sich doch ohnehin nur interessant!
Léonce stand noch vor dem Guckloch, als es klingelte. Auf der anderen Seite der Tür stand ein Mann. Er hatte den Kopf gesenkt und hielt etwas in der Hand.
»Wer ist da?«
Seine Tochter hatte ihm eingeschärft, Fremden niemals die Tür zu öffnen.
»Die Polizei, Monsieur.«
Das war natürlich etwas ganz anderes! Die Polizei stand vor der Tür. Sicher hatte es etwas mit den Ermittlungen zu dem Mord an seiner Nachbarin zu tun. Léonce konnte den Polizeiausweis durch seinen Spion erkennen.
Vertrauensvoll entriegelte er die Tür und öffnete sie weit. Das letzte Bild, das er aus dieser Welt mitnahm, war das eines Mannes, der ihn mit einem seltsamen Lächeln nach hinten stieß. Das letzte Geräusch, das er hörte, war das der zuschlagenden Wohnungstür. Wenn er die Tür so zuknallt, fallen am Ende noch die Bilder von den Wänden , dachte Léonce Legendre überflüssigerweise.
Ingrid Sainte-Rose und Sébastien Morin trafen etwa zehn Minuten nach dem Mann in der Rue Monsieur-le-Prince ein. Sie kamen mit dem Motorrad, weil die Parksituation in diesem Viertel absolut unmöglich war.
Beim ersten Läuten schrak der Mann zusammen. Es war kein kurzer Klingelton, sondern ein langes Schellen. Der Mann ahnte, wer vor der Tür stand. Gerade hatte er Legendre in seinen Sessel gesetzt und ans Fenster geschoben. Er hatte sich Mühe gegeben, die Haarsträhnen des Alten zu ordnen und seine Kleidung zurechtzuzupfen. Der alte Mann schien im Sessel eingeschlafen zu sein. In seinem Gesicht war kein Anzeichen von Gewalt zu entdecken.
Der Mann begriff, dass er in der Falle saß. Wenn die Polizisten diese Wohnung betraten, war alles zunichte, woran er seit Monaten gearbeitet hatte. Sekunden später ertönte das lange Klingeln von Neuem. Fäuste donnerten an die Tür. »Monsieur Legendre, hier ist die Polizei!«, rief eine laute Männerstimme. »Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen.« Bleich vor Angst näherte sich der Mann langsam der Tür.
»Sind Sie ganz sicher, dass er zu Hause ist?«, fragte die Männerstimme draußen auf dem Treppenabsatz.
»Ehrlich gesagt kommen mir jetzt auch Zweifel. Trotzdem ... Ich bin ziemlich sicher, dass ich den Wagen seiner Tochter gesehen habe. Sie hat auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Parkverbot gestanden, wie immer, wenn sie ihren Vater abholt. Sie fährt einen großen, weißen Wagen mit einem 91er Kennzeichen.«
Die Stimme einer offenbar verlegenen Frau.
Bestimmt eine Nachbarin , dachte der Mann. Falls die Bullen annehmen, dass der Alte zu Hause ist, brechen sie die Tür auf. Und dann bin ich geliefert .
»Geht er manchmal allein aus?«
»Seine Tochter hat es ihm verboten, aber Sie wissen ja, wie dickköpfig alte Leute sein können. Er fühlt sich fit und geht manchmal in eine Kneipe an der Ecke Rue de l’Odéon, um sich einen Kaffee oder eine Erfrischung zu gönnen. Genau genommen ist es sein einziges Vergnügen, und das sollte man ihm nicht nehmen. Das habe ich seiner Tochter immer schon gepredigt.«
»Gut, dann machen wir erst einmal eine Runde durch das Viertel und schauen, ob er dort ist. Könnten Sie uns vielleicht kurz begleiten? Wir kennen den Herrn nämlich nicht.«
Es war Ingrid, die der Nachbarin lächelnd diese Frage gestellt hatte. Die Nachbarin sagte nur allzu gern zu.
Der Mann spitzte die Ohren. Aus dem leiser werdenden Klang der Stimmen schloss er, dass die beiden Polizisten und die Nachbarin die Treppe hinunterstiegen. Nur Sekunden später
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