Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
Empfangsschalter fest und wollte nicht weichen, bis es Gewissheit hatte. Vor allem die Frau schien einem Nervenzusammenbruch nahe. Ihr Vater war sterbend in ein Krankenhaus gebracht worden, doch der Nachbar, der den beiden Bescheid gegeben hatte, wusste nicht, in welches. Das Paar hatte sich bei der Zentrale aller Pariser Krankenhäuser erkundigt und war in dieses geschickt worden. Die Schwester am Empfang hatte den Namen des alten Herrn inzwischen in allen möglichen Schreibweisen in den Computer eingegeben, doch ohne Erfolg.
Als Mistral erkannte, dass sie so nicht weiterkamen, zückte er seine Dienstmarke und fragte nach Sébastien Morin. Die Schwester war überglücklich, dass sie diesen Namen in ihrem Computer finden konnte, und wies den beiden Polizisten mit einem breiten Lächeln den Weg zum entsprechenden Gebäude.
In der Abteilung, in der Morin lag, sah es keinen Deut besser aus. In den Fluren lagen alte Menschen mit Infusionen auf Tragen und warteten ergeben auf ein Bett in einem Zimmer. Das überarbeitete Personal bemühte sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Mistral und Dalmate konnten kaum fassen, was sie da sahen. Auf der Suche nach dem Zimmer von Morin irrten sie durch die Gänge.
Schließlich fanden sie es. Es war mit drei Patienten belegt. Zwei von ihnen waren älteren Semesters und in schlechtem Zustand. Die Betten waren mit Paravents voneinander getrennt. Morin trug eine Halskrause und lag mit leicht erhöhtem Oberkörper in seinem Bett. Beide Beine waren eingegipst, ein Arm hing in einer Armbinde. Als er Mistral und Dalmate sah, lächelte er. Eine Krankenschwester war gerade dabei, die Infusion in seinem gesunden Arm einzustellen. Sie wirkte erschöpft und war nicht in der Lage, es zu verbergen.
»Ich habe den Eindruck, dass die Situation viel schlimmer ist, als wir es aus den Medien erfahren«, sagte Mistral zu ihr.
Sie machte eine Notiz in Morins Krankenblatt.
»Abgesehen von den Feuerwehrleuten und der Polizei ahnt niemand, was hier wirklich los ist«, antwortete sie schließlich. »Die Notaufnahme weiß nicht mehr, wohin mit den Patienten. Hinzu kommt, dass wir in den Sommerferien natürlich knapper besetzt sind, obwohl wir eigentlich schon für den Normalbetrieb zu wenig Personal haben. Unsere Leichenhallen sind zum Bersten voll. Es dauert im Schnitt vierzehn Tage, ehe die Toten bestattet werden können, dabei dürfen laut Gesetz vom Tod bis zur Bestattung nicht mehr als sechs Tage vergehen. Es ist eine Katastrophe! Ich wage mir nicht vorzustellen, was geschieht, wenn diese Hitzewelle anhält.«
Seufzend rückte die Schwester ihr Stethoskop zurecht, steckte den Stift in die Tasche und verließ das Zimmer.
Dalmate legte ein paar auf Computer und Elektronikspiele spezialisierte Zeitschriften vor Morin auf die Bettdecke.
»Oh, vielen Dank!«, freute sich Sébastien. »Woher wusstet ihr, dass ich gerne so etwas lese?«
»Von Roxane. Sie kommt dich morgen besuchen.«
»Schön! Hoffentlich bringt sie Makronen mit. Leute, ich habe wirklich ein Riesenschwein gehabt. Das hätte gewaltig ins Auge gehen können. Fünfzig Zentimeter weiter, und der Kerl hätte mich voll auf die Hörner genommen. Dann hätte ich nicht überlebt.«
»Erinnern Sie sich an den Wagen?«, fragte Mistral.
»Keine Ahnung. Ich kann mich nur noch an zwei Scheinwerfer erinnern, die genau auf mich zukamen.
»Paul beteiligt sich an der Suche nach dem Fahrer.«
Morin freute sich sichtlich über die Unterstützung seines Teams.
»Zum Glück hatte ich meinen Talisman dabei. Ich bin sicher, dass ich ihm mein Leben verdanke.«
»Glaubst du etwa an solches Zeug?«, fragte Dalmate verblüfft. »Ehrlich gesagt hatte ich dich eher für einen Realisten gehalten. Und was ist das für ein Talisman, wenn ich fragen darf?«
Mistral beobachtete die beiden Männer. Noch sehr gut erinnerte er sich der leichten Spannungen zwischen ihnen, als Morin sich allzu neugierig nach Dalmates Vergangenheit im Priesterseminar erkundigt hatte.
»Oh, es wird dir sicher gefallen, Paul«, antwortete Morin mit einem Anflug von Ironie. »Es ist ein Stück Schnur von einem, der sich erhängt hat. Einem Selbstmörder. Mein erster Todesfall nach der Ausbildung. Ein alter Polizeihauptmeister hat mich begleitet. Als wir den Selbstmörder abgehängt haben, schnitt er ungefähr zehn Zentimeter der Nylonschnur ab und gab sie mir. Seit dieser Zeit verwahre ich sie in meinem Ausweismäppchen. Und offenbar hat sie mir Glück gebracht.«
Dalmate starrte
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