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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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haben.«
    »Selbst wenn, du kriegst mich wieder hin«, lallte ich und patschte Oliver ungeschickt mit der flachen Hand auf den Rücken. Dann schälte ich mich mühsam aus Mantel und Schuhen. Eine bleierne Müdigkeit legte sich auf mich wie ein dunkles Tuch. Gähnend schlurfte ich ins Wohnzimmer und ließ mich aufs Sofa fallen. Schon im Wegdämmern nahm ich noch wahr, wie Oliver mir eine Decke überlegte.
    »Fühl dich wie zuhause«, murmelte ich undeutlich. Dann versank alles im samtigen Dunkel des Schlafs.
    *
    »Muss ja ne interessante Frau sein, wenn man sich aus Liebeskummer so dermaßen zulaufen lässt.«
    Oliver Menkes Worte spießten meine ersten vorsichtig zuckenden Gedanken auf wie Pfeile. Stöhnend drehte ich mich um und blinzelte. Es war taghell im Wohnzimmer. Ich lag auf dem Sofa, in Jeans, Shirt und Jackett. Und im Sessel neben mir saß mein Heilpraktiker, hielt ein Buch in der Hand und beobachtete mich mit einem amüsierten Glitzern in den Augen.
    »Sie sind ja immer noch da.« Stöhnend legte ich einen Arm vor die Augen. Er fühlte sich unendlich schwer an. Genau wie meine Augenlider. Und mein Kopf. Und jeder einzelne verdammte Muskel meines Körpers.
    Menke grinste breit. »Ich wollte ausschließen, dass Sie nachts aus Versehen an Ihrem Erbrochenen ersticken. Das ist ein so schrecklich unattraktiver Tod.«
    Mühsam nahm ich den Arm wieder zur Seite und stützte mich auf dem Ellbogen auf. Mein Schädel fühlte sich an, als hätte jemand ein eisernes Band um ihn gelegt und mein Magen …
    »Kaffee?«
    »Ja bitte. Viel und schwarz.«
    »Wollen Sie ihn trinken oder intravenös?«
    Ich verzog die Mundwinkel. »Sehr witzig.«
    Menke lachte auf, erhob sich und legte das Buch auf dem Tisch ab. »Bin gleich zurück. Sie können sich ja in der Zwischenzeit ein wenig frisch machen. Sie riechen wie eine komplette Destillerie. Eine der weniger exklusiven Sorte.«
    Während Menke in der Küche herumklapperte und die Kaffeemaschine anwarf, schlurfte ich ins Bad. Ein Blick in den Spiegel offenbarte das ganze Grauen dieses Morgens.
    »Idiot«, murmelte ich meinem käsigen Spiegelbild zu. »Du weißt doch, dass du nichts verträgst …«
    Ich trank selten, aber wenn, dann richtig. Um mir dann jedes Mal zu schwören, nie wieder auch nur einen einzigen Tropfen Alkohol anzurühren. Für die meisten Hochsensiblen ist Alkohol ein Problem, und ich bildete da ausnahmsweise einmal keine Ausnahme.
    Und alles nur wegen Mirella …
    Ich drehte den Hahn auf, schöpfte mit den Handflächen kaltes Wasser und klatschte es mir ins Gesicht. Allmählich kehrten die Lebensgeister zurück und das trübdumpfe Gefühl hinter meiner Stirn verlor ein wenig von seiner Intensität. Doch alles hatte seinen Preis. Mit der gedanklichen Klarheit kehrte auch der Herzschmerz zurück.
    »Sie interessieren sich für Pflanzen?« Oliver Menke stellte eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffees vor mir auf den Tisch und deutete dann auf das Buch, in dem er zuvor gelesen hatte. Es war der Band über Botanik, den Katherine mir aus dem Archiv mitgebracht hatte. Menke blätterte zum Lesezeichen vor. »Interessant, diese Lilien. Ich kenne sie aus der chinesischen Medizin.«
    »Tatsächlich«, murmelte ich finster und griff nach der Tasse.
    Die ganze Welt schien sich in unkalkulierbaren Ellipsen um mich zu drehen. An meinem gestörten Gleichgewichtssinn hatte auch das kalte Wasser nichts ändern können.
    »Ja«, sagte Menke und tippte auf eine der Abbildungen. »Die Chinesen verwenden die Lilienwurzeln, man nennt sie ‚Bai he‘. Hilfreich bei Tuberkulose.«
    Ich verschluckte mich an meinem Kaffee und hustete so heftig, dass ich die Hälfte der Flüssigkeit auf dem Boden verschüttete. »Was haben Sie da gerade gesagt?«
    Oliver Menke runzelte irritiert die Stirn. »Lilienwurzel. Bai He. Bei Tuberkulose. Genauer gesagt bei Yin-Leere der Lunge, aber damit können Sie nicht viel anfangen, nehme ich an.«
    Mit einem Mal war ich hellwach. War das die Erklärung für die Lilien im Kellerraum? Clara von Rieckhofen war nicht einfach nur aufgebahrt worden, inmitten von klassischen Totenblumen. Das, was ich zunächst für eine reine Kulthandlung gehalten hatte, war viel mehr! Die Lilien hatten tatsächlich einem anderen Zweck gedient! Meine Gedanken überschlugen sich. Die Alkaloide! Injektionsserie 7B. Es konnte doch kein Zufall sein, dass es sich bei Lilien um ein uraltes Heilmittel gegen TBC handelte.
    Zitternd streckte ich die Hand aus und deutete auf das Buch. »Sind

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