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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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gewesen war, machte mich befangen.
    Ich seufzte tief und starrte auf die Maserung des Dielenbodens. »Ich weiß nicht genau, wie ich anfangen soll«, sagte ich schließlich.
    »Wie wäre es mit dem Anfang?« Dann deutete er auf das Zigarillo »Darf ich?«
    Ich zögerte kurz. Dann lächelte ich matt. »Ja. Natürlich.«
    Oliver Menke würde noch eine Menge aushalten müssen, wenn er tatsächlich mein Freund sein wollte. Das Mindeste, was ich tun konnte, war, mich an den Geruch des Tabaks zu gewöhnen.
    Ich beobachtete, wie er ein Streichholz anriss, die kleine Flamme an das Zigarillo hielt und einige Male paffte, um den Tabak zu entzünden. Dann löschte er das Streichholz, legte es neben das Buch auf den Tisch, zog seine leere Kaffeetasse für die Asche heran und richtete aufmerksam den Blick auf mich.
    »Also gut«, sagte ich, lehnte mich auf dem Sofa zurück und rieb mir die Schläfen. »Beginnen wir beim Kompliziertesten. Bei mir.«
    *
    Es brauchte eine ganze Weile und zwei weitere Zigarillos, bis ich Oliver Menke erzählt hatte, was ich tat. Was mich ausmachte. Und mit welcher Aufgabe ich betraut war. Ich verschwieg nichts, berichtete von den früheren TBC-Fällen, von meinem Ausschluss aus der Akademie und von dem Fall Clara von Rieckhofen, der mir den Weg zurück geebnet hatte. Nicht einmal Mirella verschwieg ich. Und die ganze Zeit über spürte ich die Aufmerksamkeit meines Zuhörers wie einen angenehmen Gefährten im Raum. Keine einzige Sekunde lang wich er gedanklich ab und nicht ein einziges Mal unterbrach er mich.
    Als ich schließlich endete, blickte er an mir vorbei ins Leere und schwieg lange. Nur hin und wieder kräuselte ein wenig Rauch aus seinem Mund. Nach einer gefühlten Ewigkeit richtete er den Blick auf mich.
    »Also, wenn ich das richtig verstanden habe, bezeichnen Sie sich als hochsensibel. Sie arbeiten für eine geheime Organisation im Rahmen der Akademie, sind betraut mit der Aufdeckung seltsamer TBC-Fälle in Berlin und haben zudem mit einer Leiche zu tun, die aufgrund eines mysteriösen Raumes, in dem die Zeit steht, seit 100 Jahren nicht gealtert ist. Richtig?«
    Ich nickte stumm. Mir war klar, wie absurd sich das alles für einen Außenstehenden anhören musste.
    »Tja. Grob gesagt, bleiben mir jetzt wohl zwei Möglichkeiten«, sagte Oliver Menke bedächtig.
    Ich hob die Augenbrauen. Ein nervöses Prickeln breitete sich in mir aus. »Und die wären?«
    »Entweder ich rufe den Sozialpsychiatrischen Dienst und lasse Sie wegen wahnhaften Erlebens wegsperren – oder ich glaube Ihnen.«
    Ich spürte, wie sich das nervöse Prickeln in handfeste Übelkeit verwandelte. Wenn er mir jetzt tatsächlich nicht glaubte, würde das alles unglaublich verkomplizieren. Ich hatte einem wildfremden Mann interne Ermittlungsvorgänge verraten. Ich hatte ausgeplaudert, was niemand jenseits der Akademiemauern erfahren durfte. Simon würde mich umbringen …
    Menke schien meine aufsteigende Panik zu spüren, denn er lächelte matt, legte das erloschene Zigarillo neben die Streichhölzer auf den Tisch und erhob sich. »Wissen Sie was? Ich hatte schon immer eine Schwäche für verrücktes Zeug. Ich glaube Ihnen. Aber auf diese Neuigkeiten brauche ich einen Drink. Ist irgendetwas im Haus?«
    Die Anspannung fiel von mir ab wie ein bleischwerer Mantel. Erleichtert lächelte ich Menke an. »Klar. In der Küche, im Regal neben dem Kühlschrank.«
    »Wollen Sie auch was?«
    Ich hob abwehrend die Hände. »Bloß nicht. Die letzte Nacht hat mir gereicht. Fürs Erste.«
    Oliver Menke ging in die Küche und kehrte kurz darauf mit einem Glas Whiskey in der einen und einem Wasser in der anderen Hand zurück. Er stellte das Wasser vor mir auf den Tisch und ließ eine Kopfschmerztablette hineinfallen.
    »Hier. Wenn‘s schnell gehen soll, kann man auch mal härtere Geschütze auffahren.« Dann prostete er mir zu. »Auf diese verrückte Geschichte, Jakob.«
    Ich wartete, bis die Brausetablette sich endgültig im Wasser aufgelöst hatte, hob mein Glas und grinste zurück. »Und auf den Mann, der mir mehr über chinesische Liliengewächse erzählen kann. Cheers, Oliver.«
    »Und was hast du jetzt vor?«
    Olivers Blick ruhte so aufmerksam auf mir, dass ich unruhig wurde. Er schien darauf zu warten, dass ich einen ausgefeilten Plan mit ihm teilte. Irgendetwas Durchdachtes, Geniales. Etwas, das jemandem von der Akademie eben zuzutrauen war. Doch ich hatte nichts Dergleichen zu bieten. Nur ein großes Loch im Herzen, dort, wo

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