Die dunkle Seite des Weiß
Mirella fehlte.
»Was soll ich schon tun?«, antwortete ich und wusste, welch jämmerlichen Eindruck ich abgeben musste.
Oliver zog überrascht die Brauen hoch. »Wie bitte? Was du tun sollst?« Er lehnte sich im Sessel vor und seine Gesichtszüge bekamen etwas Eindringliches. »Rausfinden was der schmierige Typ, mit dem es deine Ex jetzt treibt, mit der Sache zu tun hat. Was sonst? Abgesehen davon musst du sie zurückerobern. Gefälligst.«
»Ich bitte dich, ich bin nicht gerade ein Don Juan«, schnaubte ich. Allein der Gedanke, Mirella gegenüber zugeben zu müssen, was ich noch immer für sie empfand, war absurd.
»Was deine kleine Affäre mit einer Studentin natürlich beweist«, antwortete Oliver lachend. Dann schüttelte er den Kopf. »Was hast du zu verlieren? Willst du Mirella zurück? Dann tu was dafür! Was soll passieren, du kannst ja schließlich nicht vom Boden fallen.«
Gutes Argument. Nur dass Mirella mich wahrscheinlich in Grund und Boden stampfen würde, sobald ich versuchte, sie zu becirzen.
»Sie will heiraten, reicht das nicht?«, sagte ich genervt. »Wieso sollte ich mich zum Vollidioten machen?«
»Weil du nicht glaubst, dass es wirklich vergebens ist«, entgegnete Oliver trocken. »Sonst hättest du mir gar nichts davon erzählt. Und wir würden nicht lang und breit darüber reden.«
Er hatte recht, das musste ich zähneknirschend zugeben. Fakt war: Mirella wollte mit einem halbseidenen Typen, der irgendwie Dreck am Stecken hatte, nach Havanna. Das konnte ich nicht zulassen. Und noch weniger, dass sie genau diesen Typen heiratete. Ich musste herausfinden, in welchen trüben Sümpfen Ernesto Sanchez seine weiße Weste beschmutzt hatte. Und wer dieser Mann war, mit dem er sich letztens getroffen hatte.
»Die beste Möglichkeit, irgendetwas über ihn herauszufinden, ist wahrscheinlich der Computer in seinem Büro. Vielleicht findet sich ein Hinweis. Irgendeine Spur, die mich weiterführt«, spekulierte ich.
Oliver lehnte sich grinsend zurück. »So gefällst du mir schon viel besser. Also los, worauf wartest du?«
Ich starrte ihn an. »Wie, jetzt gleich?«
»Der Restalkohol wird dir die nötige Gelassenheit geben, schätze ich«, sagte Oliver und erhob sich. »Außerdem eignet sich für einen gepflegten Einbruch in ein Akademiebüro nichts besser als die beginnende Nacht. Was in etwa drei Stunden der Fall sein wird. Du hast also noch Zeit, um zu duschen und dir einen Plan zurechtzulegen.«
»Okay«, sagte ich zögernd und rieb über die Bartstoppeln an meinem Kinn. »Ich mach‘s. Unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
Ich grinste ihn an. »Ganz einfach. Du kommst mit.«
Kapitel 12
»Du meine Güte«, murmelte Oliver mit belegter Stimme. »Ich hatte vermutet, dass diese Akademie ein merkwürdiger Ort ist. Aber so merkwürdig …«
Ich zog ihn nur mit Mühe von einer gläsernen Vitrine weg, in der Trophäen für besondere Leistungen im Dienste der Akademie ausgestellt waren. »Bedaure, wir haben keine Zeit für touristische Attraktionen«, zischte ich. »Aber sobald es sich anbietet, führe ich dich gerne herum.«
Ich war nervös. Die Aussicht, gleich in Ernesto Sanchez’ Büro zu spazieren, um nach brisanten Unterlagen zu suchen, förderte nicht gerade meine seelische Ausgeglichenheit. Wie überhaupt diese ganze Akademie meinem inneren Frieden eher abträglich war, aber das war eine andere Geschichte.
Wenn ich wirklich herausfinden wollte, in welchen krummen Geschäften Ernesto seine manikürten Finger hatte, blieb mir nichts Anderes übrig. Auch auf die Gefahr hin, erwischt zu werden und Jahre wegen Akademieverrats in Haft zu landen. Ein Detail, das ich Oliver im Vorfeld nicht verschwiegen hatte. Er sollte wissen, worauf er sich einließ, wenn er mich begleitete. Und zu meiner Überraschung hatte er zugesagt.
Was soll‘s, Mirella ist es wert, dachte ich und schloss für einen Moment die Augen. Selbst wenn es mir nie gelingen sollte, ihre Liebe zurückzugewinnen. Sie gehen zu lassen, mit diesem windigen Typen, der immer viel zu perfekt wirkte, um real zu sein, dem ich nicht einen einzigen Mikrometer über den Weg traute mit seinen ritterlichen Umgangsformen und seinen Maßanzügen, das war weit mehr, als man von mir verlangen konnte. Nein. Ich würde herausfinden, an welchen verborgenen Stellen Ernestos weiße Weste hässliche Flecken trug. Und ich würde verhindern, dass Mirella ihr Leben verhunzte. Und wenn es das Letzte war, das ich tat.
Mit schnellen Schritten
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