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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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Sie sicher? Ich meine – wirklich sicher?«
    Oliver Menke zuckte mit den Schultern. »Ja, natürlich. Allerdings fürchte ich, dass es in wirklich schweren Fällen von TBC nicht allein …« Plötzlich runzelte er die Stirn und musterte mich prüfend. »Warum interessiert Sie das eigentlich so brennend?«
    »Tut es doch gar nicht.« Ich wich seinem Blick aus. Während ich noch so tat, als würde ich mit einem Taschentuch notdürftig den Kaffee vom Dielenboden aufwischen, tastete ich nach meiner Waffe, die normalerweise in ihrem Halfter sein müsste. Unter meinem Jackett. Doch sie war fort.
    »Suchen Sie das hier?« Ein dumpf metallischer Laut erklang, als Menke meine Pistole vor sich auf den Tisch legte. »Ich dachte, es wäre besser, sie Ihnen abzunehmen«, sagte er ruhig. »Sich selbst versehentlich im Schlaf zu erschießen, ist fast so unschön wie an dem eigenen Erbrochen zu ersticken.«
    Ich spürte einen bohrenden Druck in der Kehle, wie immer, wenn ich mich in die Ecke gedrängt fühlte.
    »Wer zur Hölle sind Sie?« Olivers Augen funkelten nervös.
    Ich konnte seine Anspannung gut verstehen. Er musste alles Mögliche von mir denken. Die Karten lagen halb aufgedeckt auf dem Tisch, und mein Blatt machte keinen besonders guten Eindruck.
    Ich wusste, dass ich mit brummendem Schädel und dem Gleichgewichtssinn einer dementen Hornisse nichts gegen ihn ausrichten konnte. Widerwillig zuckte ich mit den Schultern. »Also gut. Was genau wollen Sie wissen?«
    Menke verzog die Mundwinkel zu einem schrägen Grinsen, nahm die Pistole an sich und ließ sich wieder in den Sessel fallen. »Keine Ahnung. Ich denke, alles.«
    *
    »Diese Akademie also …«
    Menke erhob sich und ging zum Fenster. Seine aufrechte Gestalt wurde zu einem Scherenschnitt im diffus durch die Scheiben fallenden Gegenlicht des Morgens. Einen Augenblick stand er vollkommen reglos da. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und blickte mich an. »Ich gebe zu, Sie sind der erste Mitarbeiter der Akademie, dem ich begegne. Zumindest wissentlich. Menschen wie Sie geben ihre wahre Identität nicht gerne preis, oder?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Es hat Vorteile, gewisse Dinge für sich zu behalten.«
    Menke nickte langsam. »Und? Welche Dinge sind das in Ihrem Fall?«
    »Sie wollen wissen, was ich kann?« Ich lachte. »Komisch, es ist immer dasselbe. Menschen sind so furchtbar neugierig. Und wenn sie dann wissen, wie anders man ist, dann rücken sie von einem ab wie von einem Aussätzigen.« Ich heftete den Blick fest auf Oliver Menke. »Sind Sie auch so jemand?«
    Menke neigte abwägend den Kopf. »Kommt wohl darauf an, was Sie mir offenbaren. Das Risiko müssen Sie eingehen. Wenn Sie denn wollen.«
    Wollte ich? Ich war nicht sicher. Ich kannte diesen Mann kaum. Und doch hatte es vom ersten Moment an eine merkwürdige Verbundenheit zwischen uns gegeben. Eine kuriose Mischung aus Distanz und Nähe, die ich nicht erklären konnte. Es war keine körperliche Anziehung. Eher eine seelische. Und ich hatte den Eindruck, dass ich ihm vertrauen konnte. Das passierte mir selten genug.
    Menke ließ sich wieder im Sessel nieder und zog die Packung mit den Zigarillos aus der Tasche. »Wissen Sie, was ich glaube?«, sagte er. »Sie brauchen jemanden, mit dem Sie reden können. Jemanden, der nicht in diesen Akademiestrukturen gefangen ist. Jemanden mit einem offenen und freien Blick von außen.«
    »Danke, dass Sie Ihre therapeutischen Dienste anbieten, aber das halte ich für unnötig«, entgegnete ich trocken.
    Menke lächelte sanft und klopfte sich mit einem Zigarillo leicht auf den Knöchel seines linken Daumens. »Ich rede nicht von einem Therapeuten. Ich rede von einem Freund. Einem verschwiegene Freund.«
    Für einen Moment herrschte Stille zwischen uns. Ich nahm das leise Ticken von Olivers Armbanduhr wahr. Sekunde um Sekunde verging. Die Uhr. Die Zeit. Der Raum, in dem die Zeit stillstand … Ein merkwürdiger Druck legte sich auf meinen Brustkorb. Konnte ich diese Dinge jemandem erzählen, der die Akademie nur vom Hörensagen kannte? Der nichts von einer Abteilung für paranormale Kriminalfälle wusste? Die Gefahr, dass er mich für verrückt erklären würde, war nicht gerade gering. Und warum auch immer, irgendetwas in mir wollte, dass Oliver Menke mich mochte. Irgendetwas in mir sehnte sich nach genau dem, was er mir gerade angeboten hatte: einem verschwiegenen Freund. Vielleicht war es gerade deshalb so schwer. Dieser Wunsch, der mir bisher nicht bewusst

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