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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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richtete meinen Blick auf Mirella. »Sie war da.«
    Mirella hob die Brauen. »Wer?«
    »Clara. Sie war mit uns da unten.«
    »Hast du sie gesehen?«
    Ich nickte. »Ja. Aber ich vor allem konnte ich sie spüren.« Ich strich mir die Haare zurück. »Mirella, ich kann es nicht beschwören. Aber in all der Zeit, die wir da unten waren, habe ich von Clara nichts anderes mitbekommen als interessierte Aufmerksamkeit. So etwas wie Neugierde. Ja, das trifft es ganz gut, denke ich.«
    Mirella runzelte die Stirn und blickte mich fragend an. »Und was willst du mir damit sagen?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Stell dir vor, du wärest in diesem Raum gefangen gehalten worden. Oder dort zu Tode gekommen, egal wie.« Ich musterte Mirella prüfend. »Würdest du dann nicht andere Emotionen aussenden als bloße Neugierde?«
    Mirellas Mundwinkel zuckte. »Ich denke schon. Aber gilt das, was ein Mensch tun würde, automatisch auch für einen Geist?«
    »Meiner Erfahrung nach ja«, erwiderte ich. »Und genau deshalb glaube ich, dass Clara erst in das Kellerzimmer kam, als sie bereits gestorben war. Es war keine Angst in ihr, verstehst du? Nichts, was darauf schließen lassen würde, dass sie dort etwas Furchtbares erlebt hat.«
    Mirella nickte und biss sich auf die Unterlippe. »Gut, das leuchtet mir ein. Obwohl ich trotzdem gerne wissen würde, ob man sich bei stillstehender Zeit das Leben nehmen kann.«
    Ich musterte sie amüsiert. »Wieso, hast du diesbezüglich Ambitionen? So schlimm ist die Zusammenarbeit mit mir wirklich nicht.«
    Mirella verzog die Mundwinkel. »Sagen wir, sie ist verbesserungswürdig.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn du dieses Rätsel unbedingt lösen möchtest, brauchen wir wohl jemanden, der freiwillig für dich über die Klinge springt. Wie wäre es mit deinem Lover? Um den wäre es nicht schade.«
    Ich merkte, wie Mirellas Körper sich innerhalb von Sekundenbruchteilen anspannte. Dann traf mich ihr funkelnder Blick von der Seite.
    »Du kannst es nicht lassen, oder?«, fauchte sie mich an. »Selbst jetzt, wo wir so viel Wichtigeres zu tun und zu klären haben? Hör auf, dich lächerlich zu machen, Jakob. Es reicht. Du hast keine Chance gegen Ernesto.« Sie strich sich mit einer wütenden Handbewegung die Locken aus dem Gesicht und beschleunigte ihre Schritte.
    »Mirella! Warte!«
    Sie blieb stehen.
    »Ist eigentlich wahr, was gemunkelt wird?«, fragte ich leise.
    Mirella drehte sich in Zeitlupe um und musterte mich prüfend. »Was genau meinst du?«
    »Diese Hochzeitspläne. Du und – dieser Typ. Ernesto.«
    Mirella schwieg entsetzlich lange. Dann kam sie langsam zu mir zurück. Ich hörte das Knirschen des Kieses unter ihren Sohlen, beängstigend laut, und es fühlte sich an, als würde mit jedem Schritt ein weiteres Stück meines wild pochenden Herzens zertreten.
    Dicht vor mir blieb sie stehen. Einen Moment blickten wir uns einfach nur an und ich sah, wie sich die Herbsthimmel in ihren Augen jagten. Dann brach Mirella die Stille. »Ja, es stimmt.«
    Ich starrte sie an, unfähig auch nur ein einziges Wort über die Lippen zu bringen. Doch in mir schrie alles. Ein wilder, stummer Protest, der nie Gehör finden würde.
    Sie würden scheitern... Aber das sind Sie ja inzwischen gewohnt … Ernestos Stimme und sein Lachen gellten mir in den Ohren, während Mirellas Blick sich mir tief in die Haut grub.
    »Er hat mich gefragt und ich habe ja gesagt«, fuhr sie fort. »Aber nicht nur das.«
    Das Schreien in mir wurde schriller. Breitete sich in jeder einzelnen Zelle aus, bis ich das Gefühl hatte, nur noch eine einzige große schreiende Wunde zu sein.
    »Was denn noch?«, sagte ich fast unhörbar.
    Mirella atmete tief durch. »Wir gehen weg. Im Sommer. Ernesto hat eine vielversprechende Stelle in Havanna angeboten bekommen. Und ich gehe mit ihm.«

Kapitel 11
    18. Oktober 1911
    Kein Besuch, haben sie gesagt. Ich bräuchte Ruhe. Die Krankheit kam in einem heftigen Schub über mich in der letzten Woche. Ich bin schwach, doch mein Denken ist klar. Ich langweile mich in diesem Bett, auf diesen Terrassen, bei diesem Blick auf die Kiefern. Wenn ich doch nur wieder auf die Füße käme.
    Und zurück zu den Präparaten. Der Doktor sagte, ich sei geschickt. Ich möchte noch so viel lernen! Doch alle halten anderes für wichtiger. Doktor Ewald will mit der Behandlung beginnen, so schnell wie möglich. Ich vertraue ihm. Spritzen sind es, sagte er, drei, vier oder vielleicht auch fünf in den nächsten Tagen. Ich

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