Die dunkle Seite des Weiß
Versuchskaninchen zu dienen? Der Gedanke war ungeheuerlich und drückte mir die Kehle zu.
»Wer ist der Kontaktmann?«, fragte Mirella in diesem Moment, den Blick fest auf Katherine geheftet. »Gibt es Informationen dazu?«
Katherine presste die Lippen aufeinander und blickte langsam zwischen Mirella und mir hin und her. Sie schien mit sich zu kämpfen. Als wäre sie nicht sicher, ob sie wirklich aussprechen sollte, was das Dokument ihr verraten hatte. Schließlich nickte sie. »Ja, der Kontaktmann hat unterzeichnet. Er heißt Ernesto Ruiz Sanchez.«
Die plötzlich eintretende Stille lastete wie Beton auf uns. Ich spürte, wie Mirellas Atem stockte, wie ihr Herz aus dem Takt geriet, für zwei Sekunden, für drei. Und ich fühlte Katherines Blick auf mir. Das ist es doch, was du gesucht hast, schien er zu sagen. Das ist es doch, was du wolltest. Bist du jetzt glücklich? Bist du es?
Nein, glücklich war ich nicht. Wie konnte ich glücklich sein, wenn etwas Mirella so wehtat. Aber noch weniger konnte ich untätig dabei zusehen, wie sie ihr Leben zerstörte.
Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, erhob sich Mirella. Ihr Gesicht war kühl und beherrscht und nur wer sie sehr gut kannte, konnte erahnen, wie sie sich gerade fühlte.
Unsere Blicke trafen sich. Mirella presste die Lippen zusammen. Dann atmete sie tief durch.
»Ich werde Ernesto jetzt höchstpersönlich den Hals umdrehen«, sagte sie gefährlich sanft. »Wer mitkommen möchte, ist herzlich eingeladen.«
Kapitel 13
»Das ist absurd! Vollkommen absurd!«
Noch nie hatte ich Ernesto Sanchez so außer sich erlebt. Doch dass wir ihn mitten in der Nacht überraschend aufsuchten – Mirella, Katherine, Oliver und ich – schien nicht einmal das größte Problem zu sein. Nicht seit Mirella ihn mit dem Dokument konfrontiert hatte.
»Du bist hier als Kontakt genannt. Und behauptest trotzdem, du hast nichts damit zu tun, ja? Dann erklär es mir.« Mirellas Stimme war so frostig, dass mir ein Schauer über die Haut lief.
Ernesto starrte erst den Brief an, dann Mirella. Und zuletzt mich. Schließlich kam er langsam auf mich zu. »Ich habe keine Ahnung, was hier gespielt wird«, sagte er gefährlich leise, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Aber wenn das hier die persönliche Rache dafür sein soll, dass Sie damals aus der Akademie geflogen sind, dann bin ich der Falsche.«
»Tatsächlich?« Ich parierte seinen Blick. »Dafür sieht die Faktenlage aber ziemlich mies aus.«
»Ich war es aber nicht! Jesus Maria!« Er rang die Hände und seine dunklen Augen blitzten. »Was soll ich denn mit einer Klinik in Minsk zu schaffen haben?«
Ich zückte mein Handy, scrollte mit einigen schnellen Bewegungen durch die Fotos und hielt es Ernesto Sanchez dann direkt vor die Nase. »Mich würde interessieren, wer dieser Mann ist. Sie haben ihn im Café Flora getroffen. Und ein hoch interessantes Telefonat im Anschluss geführt, bei dem sie beide nicht gerade einen harmonischen Eindruck erweckten. Na, klingelt‘s?«
Ernesto musterte das Foto, das ihn mit dem mysteriösen Fremden zeigte. Ein unmerkliches Zucken glitt über seine glattrasierten Züge. Dann wurde sein Gesicht wieder zu einer undurchdringlichen Maske. »Das war eine Zufallsbekanntschaft, weiter nichts.«
»Zufallsbekanntschaft? Dafür haben Sie beide sich aber sehr angeregt unterhalten.«
Ernesto zuckte mit den Schultern. »Man lernt sich eben kennen, wenn man nebeneinander am Tisch sitzt. Außerdem wüsste ich nicht, was Sie das angeht.« Ein gefährliches Glitzern war in seine Augen getreten. »Beschatten gehört nicht zu Ihrem Aufgabengebiet, wenn ich recht informiert bin.«
»Und krumme Geschäfte gehören nicht zu Ihrem. Mich würde zum Beispiel auch sehr interessieren, inwieweit Sie ein Unternehmen namens KehPharma kennen«, entgegnete ich kalt. Ich merkte, wie die Anspannung zwischen Ernesto und mir stieg. Als würde man auf einem Pulverfass sitzen und mit Streichhölzern spielen.
Mirella schob sich energisch zwischen uns. »Wer war der Mann?« Sie hielt sich sehr gerade und stand so dicht vor Ernesto, dass sich ihre Körper fast berührten. »Die Frau, die wegen dir ihr ganzes Leben hier aufgeben will, geht das alles nämlich sehr wohl etwas an.«
Ernesto seufzte leise. »Es war niemand, mi corazón. Glaub mir. Ich kenne den Mann nicht.«
Mirella schwieg. Lange. Ohne den Blick von Ernesto abzuwenden. Dann schnaubte sie leise. »Ich glaube dir kein Wort. Kein einziges verdammtes Wort.«
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