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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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als ich mir jemals erträumt hatte.
    »Also gut«, sagte ich und zückte mein Handy. »Ich rufe sie an.«
    *
    »Muss ja wahnsinnig wichtig sein, wenn ihr mich mitten in der Nacht herzitiert.«
    Katherines Gesicht verriet nicht, was sie davon hielt, nachts um drei aus dem Bett geklingelt worden zu sein. Aber als sie Mirellas Büro betrat, merkte ich, dass sie dunkle Ringe unter den Augen hatte, unausgeschlafen und erschöpft wirkte. Das war neu.
    Ich versuchte ein Lächeln. »Ja, es ist wirklich wichtig.«
    Ich hatte ihr bereits am Telefon gesagt, dass es um Hilfe bei der Entzifferung eines russischen Dokuments ging. Katherine hatte zugehört, geduldig wie es ihre Art war. Und dann gesagt, dass sie nicht wusste, ob sie uns würde weiterhelfen können. Es sei lange her, dass sie zuletzt mit der Sprache zu tun gehabt hätte. Aber einen Versuch war es wert.
    »Also, wo ist das Fundstück?«
    Bis auf einen flüchtigen Blick ignorierte mich Katherine vollkommen, und auch mein Lächeln blieb unerwidert. Ich merkte, wie Mirella irritiert zwischen Katherine und mir hin und her sah. Dann blieb ihr Blick fragend an mir hängen. Ich zog es vor, nichts zu erklären. Was auch? Dass ich einer großartigen Frau wie Katherine nach einer heißen Nacht den Laufpass gegeben hatte, nur weil ich Mirella nicht vergessen konnte? Das war nichts, was ich meiner Exfrau unter die Nase reiben wollte. Nicht wenn es sich irgendwie verhindern ließ. Und gerade jetzt, wo Oliver und ich fast Opfer von Mirellas Medikamentenfehldosierung geworden waren, stand mir der Sinn eher nicht nach romantischen Bekenntnissen …
    Katherine ging zum Schreibtisch und ließ sich von Oliver die Dokumente in die Hand drücken. Beim Blick darauf verengten sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen.
    »Wo habt ihr das her?« Ihre Stimme war plötzlich rau.
    Ich merkte, wie mein Herz ins Stolpern geriet. »Tut nichts zur Sache.«
    Katherine sah mich an. Für einige Herzschläge war es wieder da, das feine Band der gemeinsam verbrachten Nacht, das uns zueinander zog wie ein Magnet. Und ich glaubte, ganz kurz einen Funken Wärme in ihren Augen wahrzunehmen. Dann riss sie ihren Blick von dem meinen los.
    »Komisch«, sagte sie, während sie das Dokument überflog und räusperte sich einen Tick zu laut. »Ich bin nicht sicher, ob ich das richtig verstehe.«
    »Wieso? Ich dachte, du kannst Russisch?«, fragte Mirella. Sie lehnte mit dem Rücken an der Wand und hatte die Hände tief in den Hostentaschen vergraben. Ihr Blick ruhte abwartend auf Katherine.
    Katherines Gesicht nahm einen noch distanzierteren Ausdruck an. »Ja, natürlich kann ich das. Und ich kann auch entziffern, was hier steht. Aber das meinte ich nicht. Der Brief kommt nicht aus Russland.«
    Ich hob die Brauen. »Nicht? Aber das ist kyrillisch.«
    Katherine lächelte matt. »Weit ist der Osten, Mütterchen …« Dann wurde sie wieder ernst. »Das Dokument kommt aus Weißrussland. Oder ein Weißrusse hat es geschrieben.« Sie tippte auf den Briefkopf. »Hier, das sieht man an der Datumsbezeichnung. 23. Februar 2010. Das russische Wort für diesen Monat ist Fevral. Hier aber steht Ijuty. Weißrussisch. Für Februar.«
    Weißrussland? Meine Gedanken begannen zu rasen. Irgendetwas löste das Wort in mir aus, eine ferne Witterung, eine Spur, eine Erinnerung – ich zog scharf den Atem ein. Alle Blicke richteten sich auf mich. »Zwei der TBC-Opfer kamen aus Weißrussland!«
    Katherine nickte. »Der Rest des Textes legt nahe, dass es eine Verbindung zu den alten Fällen gibt. Das Logo oben rechts gehört zu einem Krankenhaus in Minsk. Und die Daten …« Katherine vertiefte sich erneut in das Dokument, dann nickte sie. »Ja. Kein Zweifel. Es sind Forschungsergebnisse. Auswertungen zu einer Medikamentenstudie. Es geht um ein Mittel gegen Tuberkulose und das Krankenhaus signalisiert Interesse an einer Zusammenarbeit. Sie bieten an, Patienten herzuschicken. Für Studien.« Katherine presste die Kiefer zusammen. »Inoffizielle Studien. Das Unternehmen, mit dem sie Kontakt haben, heißt KehPharma.«
    Ich starrte Katherine an. In mir breitete sich Fassungslosigkeit aus. »Die haben angeboten, Leute zur Verfügung zu stellen?«
    Katherine nickte erneut. Ihre Augen dunkeltraurige Seen, in denen ich zu ertrinken drohte. Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste mich.
    Durch diese Nachricht erschien alles in neuem Licht. Die jungen Frauen mit schwerer offener Tuberkulose – waren sie hergeschickt worden, um in Medikamentenstudien als

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