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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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der Welt ausreichen würde, um sie wirklich sicher sein zu lassen. Ohne nachzudenken trat ich einen Schritt vor und schloss Mirella in meine Arme. Sie schmiegte sich an mich, als hätte sie Jahre darauf gewartet. Genau wie ich.
    Ich fühlte die Wärme ihres Körpers, die durch den dunkelgrauen Stoff ihres kurzen Mantels kroch, und roch den frischen Duft ihres Parfums, während unsere Atemzüge sich einander anpassten. Synchron wurden. Ein einziges Atmen wurden.
    Wir beide wie unter einer Kuppel zerbrechlichen Glases. Die Zeit schien stillzustehen.
    Schließlich löste sich Mirella von mir und für einige Sekunden verfingen sich unsere Blicke. Ich sah, wie sie ganz leicht die Lippen öffnete, fühlte den Impuls, meinen Mund auf den ihren zu senken – und wich im letzten Moment zurück.
    Mirella ließ meine Hand los. »Ich glaube, deine Exfrau muss jetzt nach Hause«, sagte sie. Das Zittern in ihrer Stimme war fast unmerklich, nicht mehr als ein leichtes Vibrieren, das meine Haut registrierte wie ein Seismograph unterschwellige Beben aus den Tiefen der Erde.
    Ich lächelte. »Ich begleite dich. Zumindest bis vor die Tür.«
    *
    »Bist du dir wirklich sicher, dass du deinen überspannten Exmann in deiner Wohnung haben willst?«, fragte ich mit einem feinen Lächeln, als Mirella nach ihrem Wohnungsschlüssel suchte. »Ich bin doch so furchtbar anstrengend. Vielleicht erinnerst du dich nur gerade nicht daran, wegen der unzuverlässigen Medikamente?«
    »Halt die Klappe.« Mirella sperrte die Tür auf und ließ mich eintreten. »Ich brauche jetzt definitiv Gesellschaft.« Sie setzte sich auf den Boden und zerrte sich die Stiefel von den Füßen. »Dass es ausgerechnet dich jetzt trifft, ist ein Zufall, den du nicht überbewerten solltest.«
    »Würde mir nicht im Traum einfallen«, entgegnete ich grinsend.
    Offensichtlich hatte Mirella beschlossen, unsere kurze Annäherung sofort wieder zu relativieren. Und um ehrlich zu sein, war ich fast erleichtert. Es hätte alles nur noch viel komplizierter gemacht. Unsere Zusammenarbeit, den Fall, meinen schwelenden Konflikt mit Katherine, Ernestos dubiose Geschäfte … zu vieles war zu klären, bevor wir auch nur darüber nachdenken konnten, wie es weitergehen sollte. Wie das klang. Wie konnte ich nur so sicher sein, dass Mirella und ich eine Zukunft hatten? Gemeinsam?
    Ich konnte es nicht. Alles sprach dagegen. Aber in diesem Augenblick fühlte es sich so an.
    Neugierig schlenderte ich den Flur entlang, während Mirella sich aus ihrem Mantel schälte. Ich war noch nie hier gewesen. Sie lebte seit ihrem Auszug aus unserer gemeinsamen Wohnung zwar ebenfalls in Kreuzberg, allerdings im anderen Teil, nahe des Mehringdamms. Eine Gegend mit wunderbaren Altbauten, netten Cafés – und ähnlich wie bei mir am Görlitzer Bahnhof mit jedem Jahr mehr durch die Straßen flutenden Touristen aus aller Welt. Mirellas Wohnung lag im Hinterhaus und war wie eine stille Oase in all dem Trubel.
    Ich musste lächeln. Seltsam, wie ähnlich wir uns in dieser Hinsicht waren. Die Wohnung war ein Rückzugsort, ein Refugium, das nur ausgewählte Menschen je zu sehen bekamen. Und nichts ging über den Charme von knarrenden Dielenböden und Stuckdecken. Auch wenn es im Winter zugig war und alte Wohnungen so ihre Tücken mitbrachten.
    »Das Wohnzimmer ist hinten rechts und die Küche gegenüber«, rief Mirella mir zu. »Mach‘s dir bequem. Ich dusche nur kurz, wenn es dir nichts ausmacht.«
    »Wieso sollte mir das was ausmachen?«, entgegnete ich, doch sie zog schon die Badezimmertür hinter sich zu.
    Kurze Zeit später hörte ich, wie das Wasser der Dusche zu brausen begann. Einen Moment war ich versucht, die Augen zu schließen und mir vorzustellen, wie Mirella jetzt unter der Dusche stand, nur wenige Meter von mir entfernt, wie das heiße Wasser an ihrem Körper herunter perlte und –
    Ich schüttelte heftig den Kopf und marschierte dann mit festen Schritten in die Küche. Nein. Nicht mal dran denken. Hormonelle Entgleisungen waren das Letzte, was wir beide jetzt gebrauchen konnten.
    Unser altes Weinregal hatte in der Küche einen würdigen Platz neben dem Fenster bekommen. Es lagen einige Flaschen darin, und unten, in der vorletzten Reihe, eine einzelne Flasche, die eine feine Staubschicht zierte.
    Ich runzelte die Stirn. Konnte es sein, dass Mirella – nein … das hatte sie nicht getan. Ganz sicher nicht!
    Vorsichtig zog ich die Flasche ein Stückchen vor, bemüht, die Staubschicht nicht durch meine

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