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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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Fingerabdrücke zu zeichnen. Mir stockte kurz der Atem, als ich das Etikett des Weines sah. Es war ein Merlot. Ein besonderer Merlot. Mirella und ich hatten ihn zu unserer Hochzeit geschenkt bekommen, von einem guten Freund, der inzwischen verstorben war. Mit dem Hinweis, dass dieser Wein für einen ganz besonderen Moment in unserem Leben aufzuheben war. Dass sie es tatsächlich getan hatte, dass dieser Wein noch immer hier lag und der besondere Moment noch im Bereich des Möglichen hing, ließ mein Herz für einen Augenblick schneller schlagen. Behutsam schob ich die Flasche wieder an ihren Platz zurück, als wäre sie ein geheimer Schatz. Ein Schatz, um den ich wusste.
    Dann nahm ich eine andere Flasche aus dem Regal, öffnete sie und brachte sie gemeinsam mit zwei Gläsern ins Wohnzimmer. Dort wartete ich, bis Mirella in Jogginghose und T-Shirt ins Zimmer kam. Ihre Gesichtszüge waren entspannt und sie lächelte mich an.
    »Jetzt geht‘s mir besser«, sagte sie und ließ sich neben mir aufs Sofa fallen. »Geduscht und wie neu geboren.«
    Schweigend schenkte ich uns beiden ein und reichte Mirella eines der Gläser.
    »Auf die Dusche.« Ich prostete ihr zu.
    Mirellas Lächeln wurde breiter. »Auf die Dusche.«
    Während wir tranken, verfingen sich unsere Blicke ineinander. Und doch war da nicht mehr die Nähe, die vorhin unsere Umarmung begleitet hatte. Wir waren wieder das ehemalige Paar, das gemeinsam an einem Fall arbeitete und sich nun eher zufällig hier auf dem Sofa befand. Und Mirella schien keinen Zweifel daran lassen zu wollen, dass genau das auch im Mittelpunkt stand. Unsere Arbeit. Nichts Anderes.
    »Was für ein Chaos«, seufzte sie und richtete den Blick aus dem Fenster. »Ich habe keine Ahnung, was ich von Ernesto halten soll. Was meinst du?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Du weißt, ich kann ihn nicht leiden. Und es widerstrebt mir, das zu sagen, aber er wirkte auf mich doch sehr überrascht von diesem Brief, den wir auf seinem Rechner gefunden haben. Ich frage mich, ob er ein solch brisantes Dokument nicht woanders verwahren würde? Gerade nach dem Crash vor zwei Jahren, als alle Netzwerke in der Akademie verrückt gespielt haben?« Ich seufzte leise. »Ganz ehrlich – ich fürchte, ich glaube ihm. Ich glaube ihm zumindest, dass er in dieser Sache nicht die Fäden gezogen hat. Dass er allerdings keine ganz reine Weste hat, ist offensichtlich.« Ich räusperte mich. »Mirella, mir ist klar, dass ich kein Recht habe, dich das zu fragen. Und du musst nicht antworten, wenn du nicht möchtest. Aber – was hat dieser Typ an sich, dass du dich mit ihm eingelassen hast?«
    Mirella starrte auf den Boden, so lange, dass ich zu glauben begann, sie würde mir tatsächlich nicht antworten. Dann aber atmete sie tief durch und blickte auf. Direkt in meine Augen. Mein Herz machte einen Sprung.
    »Er ist so ganz anders als du«, sagte sie leise. »Und ich glaube, das ist der einzige Grund.«
    Mein Herz wurde bleischwer. Dann nickte ich stumm. Es gab dazu nichts zu sagen. Mirella hatte einen Mann gesucht, der das Gegenteil von mir war. Weniger anstrengend. Weniger emotional. Und in gewisser Weise auch weitaus weniger egozentrisch. Das musste ich hinnehmen, auch wenn es schmerzte.
    »Dieser Mann, mit dem er sich getroffen hat«, sagte Mirella mit gesenktem Blick. »Würdest du ihn wiedererkennen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Definitiv nicht. Er war zu weit weg und die meiste Zeit saß er mit dem Rücken zu mir. Ich könnte keine eindeutige Aussage machen. Auf keinen Fall.«
    Mirella nickte stumm. Dann stand sie auf, ging in den Flur und ich hörte, wie sie in ihrem Mantel kramte. Als sie zurückkam, hatte sie den ausgedruckten Brief bei sich.
    Sie tippte auf das Logo. »Katherine sagte, das sei das Siegel einer Minsker Klinik. Und dass die Klinik ihre Zusammenarbeit anbietet. Hat Katherine die Übersetzung schon geschickt?«
    Ich zog mein Handy aus der Tasche. »Warte, ich sehe nach.«
    Mirella lächelte, als ich das Handy erst anstellen musste. »Du gewöhnst dich nie daran, die Dinger einfach anzulassen, oder?«
    »Nein«, antwortete ich ungerührt. »Und das hat nur Vorteile. Nicht erreichbar zu sein, ist großartig.«
    Es dauerte einen Moment, dann blinkte ein kleiner Briefumschlag in meinem Display auf. Katherine war schnell gewesen. Viel schneller, als ich erwartet hatte. Und viel schneller, als sie hätte sein müssen.
    In mir stieg das schlechte Gewissen auf wie ein nagender Wurm. Katherine hatte die

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