Die dunkle Seite des Weiß
langsam.
Mirella sah mich fragend an. »Wer ist das?«
Ich lächelte mild. »Mach dir keine Sorgen. Das ist Oliver. Ein Freund von mir. Ein Freund.«
Sie sah mich an, die Augen riesig in ihrem schmalen Gesicht. Dann erhob sie sich.
Langsam ging sie zu Oliver hinüber, die ersten Schritte noch unsicher, dann immer stabiler werdend, und blieb schließlich vor ihm stehen. Ich sah, wie er zu ihr hochblickte, eine merkwürdige Mischung aus Neugier und Wachsamkeit im Blick. Mirella streckte die Hand aus. Oliver zögerte kurz, dann ergriff er sie und ließ sich von Mirella auf die Füße ziehen.
Für einen Moment hielt sie seine Hand noch fest. »Ich bin Mirella«, sagte sie leise, und ich konnte spüren, wie sehr sie um Festigkeit in der Stimme rang. »Jakobs Exfrau.«
»Oliver«, entgegnete mein Freund heiser. »Ich habe schon … einiges von dir gehört.«
»Tatsächlich?« Der Hauch eines Lächelns huschte über Mirellas Züge. »Dann hoffe ich, Jakob hat nur Positives über mich gesagt. Dann hinterlässt unsere erste reale Begegnung vielleicht nicht allzu viele Narben.«
Oliver rang sich ein Grinsen ab. »Oh, keine Sorge. Ich kann einiges ab. Und erschossen werden kann man ja immer mal. Ist halt Berlin, ne?«
Mirella lächelte ihm dankbar zu. Dann drehte sie sich zu mir um. »Und? Erzählst du mir jetzt, was ihr beide mitten in der Nacht in Ernestos Büro zu suchen habt?«
Einen Moment überlegte ich, ob ich ihr die Wahrheit wirklich zumuten konnte. Immerhin war sie mit dem Mann zusammen, der ganz offensichtlich mächtig in krummen Geschäften drin hing. Doch Mirella sah mich so eindringlich an, dass ich es nicht übers Herz brachte, sie zu belügen. Vielleicht konnten andere das. Ernesto zum Beispiel. Ich konnte es nicht.
»Setz dich«, sagte ich leise und wartete, bis sie wieder auf dem Stuhl Platz genommen hatte. Dann zog ich das Dokument aus der Tasche und atmete tief durch. »Wir sind hier, weil ich den Verdacht hatte, dass Ernesto Dreck am Stecken hat. Und was wir gefunden haben, scheint zu bestätigen, dass er in den TBC-Fällen mit drin hängt.«
Mirella starrte mich einen Moment verständnislos an. Dann öffnete sie die Lippen einen Spalt weit. »Ernesto? Nein«, flüsterte sie. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
Ich schob ihr die Papiere zu. »Er hat Unterlagen, die ich mir nicht erklären kann. Aber ich weiß, dass ich damals wegen ähnlicher Dokumente aus der Akademie geflogen bin. Ich hatte sie irrtümlich erhalten, von wem, weiß ich nicht. Aber es war ganz sicher ein Fehler. Ich bin damals damit zu Simon – Mirella, du kennst die Geschichte! Ich habe nicht gelogen!« Ich holte tief Luft, dann kniete ich mich vor ihr hin und deutete auf die Papiere. »Das hier sind Forschungsdaten. Analysen, oder so etwas in der Art. Auf Russisch. Ich frage dich, was hat so etwas auf Ernestos Rechner zu suchen?«
Mirella überflog die Papiere und ich sah, wie sie die Lippen zusammenpresste. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Das beweist gar nichts. Wir wissen ja nicht einmal, was da steht.«
»Ich werde schon jemanden finden, der Russisch kann«, sagte ich eindringlich.
Mirella schluckte schwer und ich konnte sehen, wie es in ihr arbeitete. »Du glaubst also wirklich, er hängt da mit drin?«
Ich nickte stumm.
Einen Moment starrte Mirella aus dem Fenster in die Dunkelheit, dann wieder zurück auf die Unterlagen. »Nur mal angenommen, es wäre so«, sagte sie zögernd. »Dann wüsste ich jemanden, der uns dabei helfen könnte, das Schreiben zu entziffern.«
»Ja? Und wer?«
Sie blickte mich an. Ihr Gesicht war so ernst, dass ich fast erschrak. »Katherine. Ihre Familie kommt ursprünglich aus Russland, oder aus der Ukraine, keine Ahnung.« Allmählich schien sie ihre innere Stabilität wiedergefunden zu haben, denn sie musterte mich prüfend. »So etwas solltest du von deiner Freundin aber eigentlich wissen.«
»Sie ist nicht meine Freundin.«
»Ach richtig, ihr vögelt ja nur.« Mirella lächelte matt und ich lächelte zurück.
»Ruf sie doch einfach an«, sagte sie dann.
Bei diesem Gedanken breitete sich ein flaues Gefühl in meinem Magen aus. Katherine war mit Sicherheit noch immer nicht gut auf mich zu sprechen. Aber Mirella hatte recht. Natürlich konnten wir morgen einen Übersetzer auftreiben. Aber warum so lange warten. Ich brannte darauf, dem Dokument sein Geheimnis zu entreißen. Vor allem, weil ich allmählich das Gefühl hatte, dass Ernesto Sanchez viel tiefer im Dreck steckte,
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