Die dunkle Seite des Weiß
Oliver.
»Er ist ein … Freund«, sagte ich, während ich es nicht wagte, die Hände herunterzunehmen. »Oliver, darf ich vorstellen: Mirella Mistrani. Meine Exfrau.«
Ich konnte Olivers fassungslosen Blick regelrecht spüren. Er wusste, dass ich meine Exfrau zurück wollte. Und offensichtlich hatte er sie sich anders vorgestellt. Aber das hier war auch nicht der günstigste Moment, um Mirellas Bekanntschaft zu machen.
»Seit wann hast du Freunde?« Das war keine Frage, es war eine Feststellung. Mirella schien auch nicht mit einer Antwort zu rechnen, denn sie dirigierte uns mit einem Wink der Pistole vom Schreibtisch weg. »Los, da rüber. An die Wand.«
»An die Wand?«, flüsterte Oliver. Ich sah Panik in seinen Augen aufflackern.
»Mirella, jetzt lass den Blödsinn!« Meine Stimme hallte lauter als geplant durch den Raum und für einen Moment befürchtete ich, damit endgültig den Kontakt zu Mirellas Seele verloren zu haben. Es fühlte sich an, als würde der letzte Rest von ihrem Selbst sich von ihrem Körper lösen und nichts zurücklassen als eine kalte Hülle, die bereit war, alles zu tun. Alles.
»Und, was hast du jetzt vor? Willst du uns erschießen, ja? Direkt hier?« Ich musste mich zusammenreißen, um der Kälte in Mirellas Blick standzuhalten, doch ich hielt durch. »Du weißt, dass du dann erklären musst, was geschehen ist. Du wirst dich verantworten müssen.«
»Das wäre einfach. Spionage in der Inneren Abteilung«, sagte Mirella ungerührt. »Niemand wird Fragen stellen.«
»Auch wenn ich es bin, den du tötest?« Meine Stimme bebte. Unsere Blicke hingen aneinander und ich konnte nur hoffen, dass sie sich erinnerte. An mich. An uns. An das, was wir einmal waren.
Die Zeit schien zum Stillstand gekommen zu sein. Und dann, ganz fein und unhörbar, änderte sich etwas in Mirellas Aura. Es war, als ginge ein zarter Riss durch die eisige Hülle, die sie umgab. Doch dieser Riss genügte.
Ich sah, wie Leben in ihre Augen zurückkehrte. Wie das graue Eis wieder zum Herbsthimmelsturm wurde, den ich kannte und liebte.
Entsetzt starrte sie auf die Waffe, die sie mit beiden Händen umklammerte und noch immer auf Oliver und mich gerichtet hielt. Dann ließ sie zitternd die Arme sinken.
Sekundenschnell war ich bei ihr. »Gib sie her.«
Mirella antwortete nicht. Stumm legte sie mir die Pistole in die Hand. Ich sicherte die Waffe, steckte sie ein und fasste Mirella an den Schultern. »Und jetzt setz dich.«
Meine Knie fühlten sich an wie Gummi, doch meine Gedanken waren merkwürdig klar. Was immer gerade geschehen war, Mirella hatte zurückgefunden. Unsere Verbindung war stärker gewesen als die Kälte in ihrem Inneren.
Während Mirella sich auf den Stuhl sinken ließ, wanderte mein Blick zu Oliver hinüber, der noch immer mit erhobenen Händen und starrem Blick an der Wand stand.
»Du kannst die Hände jetzt runternehmen«, sagte ich müde und rang mir ein Lächeln ab.
Oliver zuckte zusammen. Dann ließ er die Hände langsam sinken. Und rutschte im nächsten Moment mit dem Rücken an der Wand herunter, bis er auf dem Boden zu sitzen kam. Sein Gesicht war kreideweiß.
»Interessant, auf welche Art von Frauen du stehst«, murmelte er fast unhörbar.
Ich war froh, dass Mirella es nicht mitbekam. Sie saß auf dem Stuhl, ihre Lippen bebten und sie schien erst jetzt zu begreifen, was gerade geschehen war. Als unsere Blicke sich trafen, schnitt mir ein brennender Schmerz ins Herz. Nur ein einziges Mal hatte ich Mirella so hilflos und verletzlich gesehen wie in diesem Moment. Das war lange her. Und es war kein gutes Zeichen.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich leise und ging vor ihr auf die Knie.
Sie nickte stumm. Es war regelrecht zu spüren, wie schwerfällig sich die Erinnerungen in ihrem Kopf wieder zusammensetzten. »Ich habe eine Nachtschicht eingeschoben, weil mir der Fall keine Ruhe lässt. Ich kam her, weil man von der Dachterrasse einen so wunderbaren Blick über die Stadt hat. Da kann ich gut nachdenken«, flüsterte sie. Ein schmerzliches Lächeln huschte über ihre Züge. »Das haben wir gemein, nicht wahr? Das Denken auf dem Dach …« Sie schluckte erneut. »Und dann sah ich das Licht in Ernestos Büro. Und dass jemand dort war. Danach verwischt alles.« Sie stockte kurz. »Habe ich … irgendetwas …«
»Nein«, beeilte ich mich zu sagen. »Es ist nichts passiert. Uns geht es gut.«
»Blendend«, knurrte Oliver aus der Ecke. Seine Gesichtsfarbe normalisierte sich nur
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