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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Techniker.«
    »Und ... Simon Bathge?«
    Wieder schwieg Fouk eine Weile.
    »Er hielt es nicht lange aus bei ZERO«, sagte er schließlich. »Das Warten wurde ihm zu lang. Bathge hat uns schon Wochen vor Beginn der Bodenoffensive verlassen. Ich hörte Gerüchte, wonach er später in Ruanda umgekommen ist. In Kuwait hat er nie gekämpft.«
    »Aber Sie sagten, das Foto sei wenige Tage vor der Offensive aufgenommen worden!«
    »Das stimmt.«
    »Wie kommt Bathge dann auf das Bild?«
    »Überhaupt nicht«, sagte Fouk. »Der dritte Mann auf dem Foto ist nicht Simon Bathge.«
    Vera hatte das Gefühl, in einen Schacht zu stürzen. Sie schloß die Augen und wartete darauf, aufzuschlagen.
    Immer noch hielt sie den Telefonhörer in der Hand. Wann hatte sie Fouk mit mechanischer Stimmer gedankt und das Gespräch beendet? Eben erst? Vor zehn Minuten?
    Unmöglich zu sagen. Die Zeit war außer Kraft gesetzt.
    Fouk hatte sich glücklich geschätzt, ihr helfen zu können. Er war sehr zuvorkommend gewesen.
    Vera erzitterte.
    Vor einer Woche noch war sie in Sicherheit gewesen hinter ihrer Vorkriegsfassade.
    Es geschah, was sie aus ähnlichen Situationen schon kannte. Aus sich heraustreten, das eigene Elend mit unverbindlichem Interesse in Augenschein nehmen. Sich am Boden liegen sehen und mit den Gedanken schon woanders sein. Was mach ich zum Abendessen?
    Muß noch bügeln. Ins Kino könnte man auch mal wieder gehen.
    Wen ruf ich an?
    Nüchtern analysierte sie das Feld der Möglichkeiten. Zur Debatte standen Wut, Angst und Verzweiflung. Eine schöne klebrige Depression. Sie konnte zusammenbrechen. Ohnmächtig werden. Heulen und schreien. Es gab die Alternative, etwas zu zertrümmern.
    Stilles Weinen bot sich an. Wildes durch‐die‐Gegend‐Fahren mit dem Wagen, panisches Hin‐ und Herrennen. Nach Hause laufen, sich aufs Bett werfen. Sich besaufen. Roth anrufen. Menemenci anrufen.
    Ihr Verstand entschied anders. Er gebot ihr, die Nummer einer Auskunftei zu wählen, mit der sie in engerem Kontakt stand. Mehrfach wurde sie weiterverbunden. Der Sachbearbeiter, an dessen Ohr sie schließlich landete, versprach, ihr ein Fax zu schicken. Er entschuldigte sich, daß es einige Minuten dauern würde.
    Sie wartete.
    Sie hörte sich mit normaler Stimme reden und empfand nicht das geringste. Nur eine unterschwellige Erheiterung, von der sie wußte, daß es Hysterie war. Würde sie einmal anfangen zu lachen, könnte sie nicht mehr aufhören, und etwas in ihr würde zerreißen. Alles wäre dann zu spät. Bloß nicht lachen. Lieber sich fühlen wie ein hohler Knochen.
    Ein kurzer Sinuston kündigte das Fax an.
    Sie wartete geduldig, bis die drei Seiten den Drucker verlassen hatten, breitete sie vor sich aus und überflog den enggedruckten Text. Sie brauchte nicht lange, um den Eintrag zu finden. Der immer noch existierende Großhandel für Tiefseetauch‐ und Hochseeangelbedarf in den Ruinen der Alten Werft wies als alleinigen Inhaber und Geschäftsführer Jens Lubold aus.
    Er begann mit Extremsportartikeln zu handeln, soweit ich weiß. Aber das ging wohl schief. Die Kölner fahren eben lieber mit dem Schiffchen, als im Rhein nach Wracks zu tauchen.
    Immer wieder Halm.
    Seine Worte hatten ein dumpfes Dejà‐vu in ihr hochgeschwemmt, ohne daß sie damals hätte sagen können, was es war. Vor einer Woche hatte sie lediglich die Namen der Firmen und Verbände in Erfahrung gebracht, die die Werft unter sich aufteilten. Ein Fitneßstudio war daruntergewesen, mehrere kleine Handelskontore und Reedereien – und ein Großhandel für Tauchbedarf.
    Warum hatte sie Halm nicht besser zugehört?
    Die Zeit füllt Ozeane, aber sie fließt nicht zurück.
    Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie handeln mußte. Sie suchte Menemencis Karte heraus und wählte die Nummer im Waidmarkt.
    Man sagte ihr, Menemenci sei unterwegs. Sie verlangte seinen Stellvertreter, aber auch der war nicht greifbar.
    Noch ein Anschluß stand auf der Karte. Eine Funknummer. Vera wählte und landete in Menemencis Mailbox. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen, legte sie auf.
    Einen Augenblick lang mußte sie sich zusammenreißen, um nicht doch loszuschreien. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, die Fingernägel schnitten in die Handflächen. Sie dachte an die Selbstporträts.
    Die Kerzen. An seine Berührungen, seinen Atem, seine Hitze auf und in ihr.
    Sie versuchte ihn zu hassen.
    Er ließ sich nicht so einfach hassen.
    Vera hatte erwartet, daß ihr beim Gedanken an die zurückliegenden

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