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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Fitzgerald
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mir.
    ***
    Meine zweite Spätschicht. Um drei Uhr nachmittags kam ich in meinem albernen Netzballröckchen an, goss die Topfpflanze an der Rezeption und ging in den Entspannungsbereich. Esther und Kate saßen lesend an der Handtuchausgabe und ignorierten mich. Fäustling-Woman blieb wie immer in ihrem Raum. Es war klar, dass mir die Zeit bei diesem Job ziemlich lang werden würde. Er hatte etwas Entrücktes, als ob man eine Zeitreise unternähme. Frauen lagen lesend oder schlafend da, bedeckt mit Handtüchern – mehr oder weniger –, und ruhten sich aus. Und danach ruhten sie sich noch ein bisschen aus. Die Digitaluhr über der Handtuchausgabe klickte derart langsam voran, dass die Zehn-Uhr-Anzeige mir wie eine Schimäre erschien, bis sie dann endlich doch kam.
    ***
    Es war nach zehn Uhr, als ich nach Hause zurückkehrte und ein Paket von Ursula vorfand. Jemand aus dem Royal hatte es vorbeigebracht. Es war ein Foto von ihr und meinem Vater drin. Die beiden standen auf der Veranda, lächelten breit und hielten ein Schild hoch, auf dem »Wir lieben Bron!« stand. Auch zwei Packungen Cheesles und ein Brief waren in dem Paket. Der Brief lautete wie folgt:
    Meine liebe Bron,
    Du fehlst mir! Ich hoffe, dass es Dir gut geht und Du mal ein bisschen aus Dir rauskommst. Du kannst es gebrauchen. Gib mir bitte Bescheid, wenn Du irgendwas brauchst! Ich arbeite viel zu viel und freue mich schon darauf, mal was anderes zu machen, als immer nur zu lernen. Hier ist es heiß und sonnig, und in meinem Zimmer lebt eine große Spinne namens Milly. Die lässt Dich auch grüßen.
    Hab Dich lieb,
    Urs
    PS: Das Foto ist angekommen. Wer ist der Muskelmann mit den Tattoos? Boah!
    Ich pinnte das Foto an die Wand neben meiner Matratze und versprühte etwas von dem Duftspray, das ich mir auf der Arbeit ausgeborgt hatte: Cheryl-Annes Bierfürze schienen allmählich das ganze Haus zu durchdringen. Dann steckte ich mir einen Cheesle -Ring auf jeden Fingern, zehn Stück auf einmal, und schloss mich in meinem Gemach ein, um unbehelligt von Idioten, die derlei Genüsse nicht zu schätzen wissen, die ganze Magie der Cheesles zu genießen.
    Als ich damit fertig war, ging ich ins Wohnzimmer. Das gesamte Royal und einige Angestellte aus dem Porchester saßen dort herum. Nur Ray sah ich nicht.
    »Er ist nicht mehr da«, teilte mir Fliss mit.
    Anscheinend hatte ein Mädel, das er einen Monat zuvor in Thailand kennengelernt hatte, ihm gleich nach dem Frühstück eine SMS geschickt: Sie sei in Frankreich und wolle »diese Sache« mit ihm machen. Er hatte nur zehn Minuten gebraucht, um seinen Rucksack zu packen und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Statt also nachzusehen, was sich in dem Wandschrank unter der Treppe befand und mehr über Pete und die Geräusche herauszufinden, nahm ich an diesem Abend an einer Abschiedsparty für James teil, den Putzunternehmer aus Neuseeland.
    »Dieser Typ ist klasse«, sagte Hamish. Wir versuchten, einander in möglichst pointierten Abschiedsreden zu übertreffen.
    »Der netteste Typ, den ich in meinem ganzen Leben getroffen habe«, sagte eine Frau mit blauen Ohrringen.
    »Mein Seelenbruder«, fügte Dingens aus Dingenskirchen hinzu.
    »Der lustigste Mensch in ganz London.«
    »Du bist der Beste, Alter!«
    »Mann, du bist der Allerbeste !«
    James präsentierte stolz sein Flugticket nach Auckland, während die Mädels ihn entweder streichelten oder weinend in seine Arme sanken. Er wedelte deshalb so aufgeregt mit seinem Ticket herum, weil seine Freundin ihn am Flughafen abholen würde – und dann würden sie zusammenziehen und bis ans Ende ihres Lebens glücklich sein. Die Jungs klopften ihm abwechselnd auf Rücken und Schulter, und ich … Also, was mich anging: Ich zog an Hamishs Wasserpfeife, öffnete meinen Mund für den Trichter, durch den Fliss uns reihum ein Gemisch aus Wodka und Red Bull einflößte, schnupfte weißes Pulver von Zachs Gitarre, spielte God is Dwelling in My Heart auf Zachs Gitarre, lachte so heftig, dass mein Kiefer schmerzhaft zu kribbeln begann, und gestand James, dass ich ihn – obwohl er mich gefeuert hatte –, wahrscheinlich mehr als alle anderen im Raum liebte, mehr sogar als alle anderen im Land … nein, auf der Welt, nein, im ganzen Universum.
    »Bronny! Bronny!« James klopfte mir sacht auf die Schulter. Ich öffnete die Augen. Mir war klamm. Frühes Morgenlicht sickerte durch die Fenster. Ich lag zusammen mit mindestens zehn anderen auf dem Wohnzimmerboden, und James war drauf und

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