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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Fitzgerald
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Riesenscheiße, wenn sie es nach allem, was sie durchgemacht hatte, nicht mehr schaffen würde – nicht mehr das glückliche Aufkreischen ihrer Familie hören könnte, die auf sie zurennen würde, nicht einmal mehr die Kraft hätte, auf einen der drei Männer zu zeigen, die zu ihr heruntersahen, und zu sagen: »Ist er das? Ist das seine Stimme? Irgendwas in seiner Körperhaltung erinnert mich an ihn.«
    Celia brachte nur zwei Wörter heraus: »Große Augen«. Sie hätte gern mehr gesagt, schon damit sie das Ungeheuer erwischten, das sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Gewissen hatte. Eine Welle der Frustration schwappte über sie, als sie ihre eigenen Sprechversuche hörte – sie brachte nichts als ein Schnarren hervor, und die Anstrengung bereitete ihr so große Schmerzen, dass sie schließlich froh war, sich ins Dunkel zurückziehen zu können.

31
    Eine nackte Frau starb in meinen Armen. Sie ähnelte nicht im Geringsten der Frau, die ich auf den Zeitungsausschnitten in Gregs Wohnung gesehen hatte. Ihr Gesicht war voller Brandblasen, ein Fingerknochen stak aus ihrer linken Hand, ihr Mund war geschwollen und zerschnitten, von ihren Beinen hing die Haut in Fetzen herab. Ihr ganzer Körper wirkte schwach und knochig. Ich sah ihr in die Augen und sagte: »Schauen Sie mich an … Ihre Söhne vermissen Sie … Ich gehe sie gleich holen, Sam, Johnny und Greg … Sie stehen das hier durch … Sie werden wieder mit ihnen zusammen sein, als Mama und als Ehefrau … Alles wird wieder gut, ganz gut … Schauen Sie mich an, ja?«
    Sie öffnete den Mund und versuchte etwas zu sagen. Sie rang nach Luft, mit dick geschwollener, blutender Zunge. Ich sah die Enttäuschung in ihrem Blick, und ihre Augen flehten mich um Verständnis an, doch nachdem sie mühsam die Wörter »Große Augen« hervorgebracht hatte, kam nichts mehr.
    Sie schloss die Augen, als die zwei Sanitäter eintrafen. Ich wollte sie nicht gehen lassen. Ich wollte sie festhalten und bei ihr bleiben, um an ihren Lebenswillen zu appellieren. Ich empfand ein überwältigendes Schuldgefühl, als ich zur Seite trat und die Sanitäter vorbeiließ. Die ganze Zeit war sie unter meinem Zimmer eingesperrt gewesen, und ich war zu bekifft und zu blöd gewesen, um sie zu retten.
    ***
    Ich rannte die blutverschmierte Treppe hoch, über die Eingangsdiele hinaus auf die Straße und hämmerte gegen Gregs Tür: »GREG! GREG! SIE LEBT!«
    Er öffnete die Tür sofort. Er trug einen Schlafanzug, und die Jungs drängten sich in ihren Schlafanzügen hinter ihm.
    »Sie lebt! Wir haben sie gefunden! Im Keller unseres Hauses.«
    »Was?«, fragte Greg ungläubig.
    »Celia. Sie ist drüben bei uns. Sie lebt.«
    Ich hätte seine Hand genommen und ihn zu ihr geführt, aber er war zu schnell, und Sam auch. Sie rannten beide über die Straße.
    »Halt!«, schrie ich und lief, Johnny im Arm, hinter ihnen her. »Lassen Sie Sam bei mir. GREG!«
    Greg blieb stehen und schaute mich an. Er verstand und wandte sich zu Sam. »Bleib bei Bronny«, sagte er. »Bleib hier, während ich Mami holen gehe. Ich bin gleich wieder da.«
    Ich hielt Johnny und Sam in den Armen. Wir standen auf der Eingangstreppe zu ihrer Wohnung und sahen über die Straße, genau wie damals, als sie auf die Heimkehr ihrer Katze gewartet hatten.
    »Sie muss meine E-Mail bekommen haben«, sagte Sam. »Ich habe ihr gesagt, dass ich Johnnys Raum-Zeit-Maschine klaue, wenn sie nicht zurückkommt.«
    Ich gab Sam einen Kuss auf die Stirn. Seine Augen wirkten plötzlich anders: Es waren die Augen eines Siebenjährigen.
    Schließlich wurde die Trage mit Celia aus dem Haus gebracht, Greg unmittelbar hinter ihr. Er rannte zu uns hinüber, während die Sanitäter die Trage in den Krankenwagen hoben.
    »Mami muss jetzt ins Krankenhaus. Ihr bleibt bei dem Sanitäter, bis Oma kommt.«
    Er sah mich kurz an, und seine Augen flackerten ein wenig. Er fragte sich, wer ich sei, wer ich in Wahrheit sei. Energisch hob er Johnny von meinem Schoß und übergab ihn dem Sanitäter. Dann führte er Sam zu seinem kleinen Bruder. Sam drehte den Kopf und lächelte mir freundlich zu.
    Als Greg zurück über die Straße rannte, wurde mir klar, dass er mich nicht länger als Freundin betrachtete. Ich hatte keine Freunde mehr. Ich war eine wildfremde Hausbesetzerin, die eines Tages aus dem Nichts aufgetaucht war und in ihrem Keller vielleicht eine unschuldige Frau gefangen gehalten und gefoltert hatte.
    Ich rannte in das besetzte Haus. »Pete!«, schrie ich.

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